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DatenschutzDie Weitergabe hochsensibler Daten aus Schriftsätzen als Kündigungsgrund

Abo-Inhalt23.05.20225706 Min. Lesedauer

| Die Offenlegung und Veröffentlichung von ausschließlich für ein Kündigungsschutzverfahren bestimmten Schriftsätzen, die Gesundheitsdaten Betroffener enthalten, an die Betriebsöffentlichkeit über eine E-Mail mit „Dropbox-Link“, ist geeignet, einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung zu bilden. Ein solches vorsätzliches Fehlverhalten muss zuvor auch nicht abgemahnt werden. |

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen (Folge-)Kündigung vom 18.1.19. Der ArbG ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. In seinem Betrieb sind ca. 13.500 ArbN beschäftigt. Dort besteht ein Betriebsrat mit 39 Mitgliedern. Der ArbN war seit 1997 als Entwicklungsingenieur beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats. Der ArbG kündigte das Arbeitsverhältnis erstmals am 13.2.18 außerordentlich. Er stützt diese erste Kündigung auf den Vorwurf folgender Pflichtverletzungen des ArbN in der Zeit vom 1.2.18 bis zum 9.2.18:

  • unangemessenes Verhalten vor der Damenumkleide der ArbN der Werkverpflegung am 1.2.18;
  • ungerechtfertigte Beschuldigung von Herrn A;
  • Angriff auf Frau B. in deren Büro am 8.2.18;
  • Bedrängung von ArbN und Bedrohung von Herrn A. am 9.2.18.

Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage ab. Das Arbeitsgericht sah es nach einer Beweisaufnahme als erwiesen an, dass der ArbN sowohl zum Schluss seines Auftretens gegenüber Frau B. in ihrem Büro am 8.2.18 gesagt hat „Sie sind sehr mutig, wenn Sie sich mit mir anlegen. Ich mache Sie fertig, Sie werden schon noch sehen“, als auch bei seinem Aufeinandertreffen mit Herrn A. am Folgetag „Sie krieg ich auch noch.“

Im Berufungsverfahren vor dem LAG Baden-Württemberg (21.1.20, 8 Sa 30/19) gab das Gericht der Berufung des ArbN teilweise statt. Es stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des ArbG vom 13.2.18 aufgelöst worden ist. Anders als das Arbeitsgericht Stuttgart kam das LAG Baden-Württemberg im Rahmen der Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass der ArbG den ArbN zunächst hätte abmahnen müssen.

Der im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Kündigung vom 18.1.19 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 20.12.18, 13:13 Uhr, schrieb der ArbN eine E-Mail mit dem Betreff „Autorisierung zu wahrheitsgemäßen Stellungnahmen bezüglich meiner Kündigung gegenüber Beschäftigten“ an den Betriebsratsvorsitzenden, Herrn I., Herrn J. und Herrn Rechtsanwalt K., den Prozessbevollmächtigten des ArbN im ersten Kündigungsschutzverfahren. Er halte es „im Sinne einer objektiven Information“ der Mitarbeiter für geboten, ihnen die Schriftsätze beider Seiten zur Verfügung zu stellen. Er habe „diese öffentlichen Dokumente“ unter einem Link zusammengestellt. So könne sich jeder interessierte Mitarbeiter ein eigenes Bild über seine Schilderungen der Vorgänge und über die Art der Vorwürfe der Firmenseite machen. Die E-Mail schließt mit der Erklärung, die E-Mail gehe „parallel unter anderem auch an Vertreter des Vertrauenskörpers und der Arbeitnehmervertretungen der R. B. GmbH“.

In der E-Mail enthalten war ein Link zu einer sog. „Dropbox“. In der Dropbox waren Schriftsätze beider Seiten aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren samt Anlagen sowie ein Ausdruck von SMS-Verkehr mit Herrn H. zur Ansicht, zum Download und zum Ausdruck zur Verfügung gestellt.

Unter anderem stellte der ArbN die Klageerwiderung der Prozessbevollmächtigten des ArbG vom 19.3.18 und einen weiteren Schriftsatz vom 20.6.18 online zur Verfügung. In diesen Schriftsätzen waren detaillierte Angaben zu sämtlichen vom ArbG angeführten Sachverhalten enthalten, und zwar unter voller Namensnennung der betroffenen Mitarbeiter. Hinsichtlich all dieser Mitarbeiter stellte der ArbG dar, wie sie die verschiedenen Vorgänge wahrgenommen hatten, und welche Auswirkungen das Verhalten des ArbN auf sie hatte. Insbesondere wurden in den Schriftsätzen der ArbG auch die psychischen Beeinträchtigungen geschildert, die das Verhalten des ArbN für Frau B. und Herrn A. hatte.

Am 28.12.18 beantragte der ArbG beim Betriebsrat (BR) die Zustimmung zur vorsorglichen außerordentlichen fristlosen Kündigung des ArbN. Der BR äußerte sich zunächst nicht zum Zustimmungsersuchen. Daraufhin leitete der ArbG am 3.1.19 beim Arbeitsgericht Stuttgart ein Zustimmungsersetzungsverfahren ein. Am 18.1.19 stimmte der BR der Kündigung zu und teilte dies dem ArbG mit. Daraufhin sprach der ArbG noch am selben Tag die streitgegenständliche Kündigung aus. Der ArbG und der BR erklärten zwischenzeitlich die Erledigung des Zustimmungsersetzungsverfahrens.

Der ArbN ist der Meinung, die fristlose Kündigung sei aus mehreren Gründen unwirksam. Er habe bezüglich der betriebsinternen Veröffentlichung von Teilen der Prozessakten kein Unrechtsbewusstsein gehabt und „musste dies auch nicht haben“. Es gäbe keine Norm, die es grundsätzlich gebiete, Prozessakten geheimzuhalten. Ein Datenschutzverstoß sei schon deshalb abzulehnen, da er mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO ausschließlich im Rahmen „persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ gehandelt habe.

Der ArbG meint, der ArbN habe durch die Veröffentlichung weiter Teile der Prozessakten, insbesondere der umfassenden Schriftsätze des ArbG, gleich unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten (Verstoß gegen Datenschutzrecht, Verletzung der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Mitarbeiter, erneute Störung des Betriebsfriedens) gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen. Damit sei in der Zusammenschau mit seinem vorangegangenen Verhalten, welches Anlass für die erste Kündigung gewesen sei, die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht Stuttgart (4.8.21, 25 Ca 1048/19, Abruf-Nr. 229204) wies die Klage ab. Es führte unter anderem aus, die fristlose Kündigung vom 18.1.19 sei wirksam, die Klage insofern unbegründet. In der Veröffentlichung weiter Teile der Prozessakte in der Betriebsöffentlichkeit durch den ArbN sah die Kammer unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten einen wichtigen Grund an sich im Sinne der § 626 Abs. 1 BGB, § 15 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG. Dieser Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten war auch schuldhaft.

Mit der Veröffentlichung weiter Teile der Prozessakten habe der ArbN gegen die Bestimmungen des Datenschutzrechts verstoßen. Die DSGVO sei auf die veröffentlichten Prozessakten anwendbar, denn sie enthielten personenbezogene Daten gem. Art. 4 Nr. 1 DSGVO, d.h. Informationen über identifizierte natürliche Personen.

Soweit in den Prozessakten Gesundheitsdaten (Arbeitsunfähigkeit, psychische Beeinträchtigung) enthalten seien, handele es sich zudem um besonders schutzwürdige sensible Daten (Art. 9 Abs. 1 DSGVO). Die Bereichsausnahme des Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO, wonach die Verarbeitung personenbezogener Daten durch natürliche Personen zur Ausübung „ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ nicht dem Anwendungsbereich der DSGVO unterliege, liege nicht vor, da eine persönliche oder familiäre Tätigkeit „öffentlichkeitsfeindlich“ sei.

Als Verantwortlicher habe der ArbN durch die Verarbeitung der Daten gegen die Pflicht zur rechtmäßigen Verarbeitung (Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 6 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 DSGVO) verstoßen. Die Verarbeitung lasse sich nicht auf eine Rechtsgrundlage stützen. Sie sei aus Sicht der Kammer insbesondere nicht für einen legitimen Zweck erforderlich gewesen.

Entscheidungsgründe

Das LAG Baden-Württemberg (25.3.22, 7 Sa 63/21, Abruf-Nr. 229203) wies die Berufung des ArbN zurück.

Wer im Rahmen eines von ihm angestrengten Gerichtsverfahrens bestimmte, ausschließlich dem Verfahren gewidmete Schriftsätze der Gegenseite, in denen Daten – insbesondere auch Gesundheitsdaten – verarbeitet werden, bewusst und gewollt der Betriebsöffentlichkeit offenlege und darüber hinaus den Adressatenkreis auffordere, die Weiterverbreitung der verlinkten E-Mail zu veranlassen, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletze rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Personen. Dies habe zur Folge, dass vorliegend die außerordentliche Kündigung des ArbG wirksam sei.

Die Wahrnehmung berechtigter Interessen des ArbN oder sonstige sein Fehlverhalten rechtfertigende Umstände lägen insofern nicht vor, als die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts am Tage der Zurverfügungstellung des Links noch nicht vorgelegen hätten. Dem ArbN habe noch die Möglichkeit offengestanden, gegen das Urteil das Rechtsmittel der Berufung einzulegen, um in diesem Verfahren seinen Standpunkt darzulegen.

Soweit der ArbN versuchte habe, die Verletzung der Persönlichkeitsrechte der in den von ihm ungeschwärzt veröffentlichten Schriftsätzen des ArbG namentlich benannten Personen zu rechtfertigen, folge ihm das LAG nicht. Im Zeitpunkt der Fertigung der E-Mail am 20.12.18 habe er die Begründung des Urteils des Arbeitsgerichts noch nicht gekannt. Die Bearbeitung und Bewertung des vom ArbN in Abrede gestellten Vorwurfs durch das Arbeitsgericht sei ebenso wie auch das Rechtsmittel der Berufung offen gewesen.

Die Kammer gehe von einer vorsätzlichen Pflichtverletzung des ArbN aus. Es sei davon auszugehen, dass der ArbN sehr wohl gewusst habe, was er tat. Der ArbN sei seit 2006 Betriebsratsmitglied und hinsichtlich des Umgangs mit personenbezogenen Daten geschult und vertraut gewesen. Diese Sonderkenntnisse würden bekräftigt durch die von ihm am 15.9.11 als „B.-Mitarbeiter“ unterzeichnete Datenschutzerklärung. Auch ein Rechtsirrtum sei ausgeschlossen.

Im Ergebnis sei auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Nach Ansicht der Berufungskammer sei keine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen. Dafür spreche die Schwere der vorsätzlichen Pflichtverletzung des ArbN. Diese zeige sich nicht nur in einem einmaligen Fehlverhalten. Vielmehr sei sie bewusst darauf angelegt gewesen, durch die gewollte Weiterverbreitung mithilfe des Verteilerkreises die Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der namentlich benannten Personen zu perpetuieren und zu intensivieren.

Soweit der ArbN versuche, sein in der E-Mail vom 20.12.18 an den bislang nicht offengelegten Verteilerkreis formuliertes Weiterverbreitungsverlangen als „unglücklich formuliert“ zu relativieren, sei das unbehelflich. Maßgebend sei der Zeitpunkt der Abfassung der E-Mail am 20.12.18 und die darin ausdrücklich enthaltene Aufforderung, die Schriftsätze weiter zu verbreiten und daraus auch zu zitieren. Die Argumentation des ArbN, es sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass der ArbG ihn nicht sofort, sondern erst taggleich um 18:33 Uhr aufforderte, den Dropbox-Link zu löschen, beinhalte eine Perversion des Rechts.

Relevanz für die Praxis

Nur Gerichtsverfahren selbst sind nach § 169 GVG gerichtsöffentlich, nicht hingegen der Inhalt der Prozessakten. Dies gilt insbesondere für den Inhalt der Schriftsätze der Gegenseite nebst Anlagen. Die öffentliche Weitergabe solcher Daten, die hier prekärerweise auch Gesundheitsdaten am Verfahren Beteiligter im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO betraf, war nicht nur ein Verstoß gegen den Datenschutz, sondern zugleich eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen (ehemaligen) Arbeitskollegen.

Dass eine solche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung geeignet sein kann, haben sowohl das Arbeitsgericht Stuttgart als auch das LAG Baden-Württemberg betont.

§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG

Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich.

Art. 9 Abs. 1 DSGVO

Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

AA-06.2022_Grafik_Veröffentlichung von Prozessdaten.eps (© IWW Institut)
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Weiterführende Hinweise
  • Strafrechtliche Relevanz entbindet nicht von der Darlegung des Kündigungsgrunds: BAG in AA 22, 75
  • Weitergabe fremder Daten führt zur Kündigung: LAG Köln in AA 22, 24

AUSGABE: AA 6/2022, S. 96 · ID: 48313701

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