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Insolvenz/UrlaubArbeit für vorläufigen Insolvenzverwalter: Urlaubsabgeltung ist Masseverbindlichkeit
| In der Insolvenz des ArbG ist der Anspruch des ArbN auf Urlaubsabgeltung vollständig als Masseverbindlichkeit zu berichtigen, falls der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch in Anspruch genommen hat. |
Sachverhalt
Der ArbN begehrt die Zahlung von Urlaubsabgeltungsansprüchen. Er war beim ArbG tätig, über deren Vermögen später ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Seine Arbeitsleistung wurde von der Beklagten als damalige vorläufige Insolvenzverwalterin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beansprucht. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit seiner Klage verlangte der ArbN für die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht genommenen Urlaubstage die Zahlung von Urlaubsabgeltung als Masseverbindlichkeit. Die Beklagte lehnte dies als Insolvenzverwalterin ab, weil es sich nur um eine zur Insolvenztabelle anzumeldende Insolvenzforderung handle. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab (LAG Berlin-Brandenburg 10.10.18, 23 Sa 505/18). Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei keine Masseverbindlichkeit.
Entscheidungsgründe
Die dagegen gerichtete Revision des ArbN war vor dem BAG (25.11.21, 6 AZR 94/19, Abruf-Nr. 227364) erfolgreich. Der 6. Senat qualifizierte den Urlaubsabgeltungsanspruch als Masseverbindlichkeit. Die Klageforderung sei daher vollständig als Masseverbindlichkeit zu berichtigen.
Dies folge aus der gesetzlichen Wertung des § 55 Abs. 2 S. 2 InsO. Danach werde eine Masseverbindlichkeit begründet, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen habe. Dies gelte auch für das Arbeitsverhältnis als klassisches Dauerschuldverhältnis. Nehme der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitskraft eines ArbN in Anspruch, habe er folglich alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Diese Verpflichtung sei umfassend. Sie beinhalte alle Leistungen, die aus der Fortsetzung des Bestands des Arbeitsverhältnisses resultierten. Es erfolge gerade keine Begrenzung auf Ansprüche, die unmittelbar auf einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung beruhten. Es seien auch solche erfasst, denen keine unmittelbare Wertschöpfung für die Masse gegenüberstehe.
Der vollen Berichtigung als Masseverbindlichkeit stehe die bisherige Rechtsprechung des 9. Senats nicht entgegen, der von einer anteiligen Zuordnung der geldwerten Urlaubsansprüche ausgegangen sei. Der 9. Senat habe auf Anfrage erklärt, an der Auffassung nicht festzuhalten (BAG 16.2.21, 9 AS 1/21).
Relevanz für die Praxis
Der 6. Senat stärkt den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub weiter. Um eine Divergenz in der Rechtsprechung der verschiedenen Senate auszuschließen, war die Anfrage beim 9. Senat notwendig. Dieser hatte den Urlaubsanspruch nach dem Zeitpunkt seines Entstehens gedanklich aufgespalten und daher entsprechend anteilige Zuordnungen vorgenommen. Nur die in die Zeit der Inanspruchnahme der Arbeitsleistung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fallenden Urlaubsansprüche waren danach als Masseverbindlichkeit zu berichtigen (dazu ausführlich BAG 21.11.06, 9 AZR 97/06).
Diese Differenzierung war mit den Grundlagen des Urlaubsrechts nicht vereinbar. Auch aus den gesetzgeberischen Wertungen des Insolvenzrechts ergibt sich nichts anderes, sodass die Rechtsprechungsänderung des 6. Senat zu begrüßen ist. Sie hat sich auch schon angekündigt, da die umfassende Leistungspflicht für Ansprüche aus dem durch den vorläufigen starken Insolvenzverwalter fortgeführten Arbeitsverhältnis durch den dieser Entscheidung vorausgegangenen Vorlagebeschluss bereits angelegt wurde (vgl. BAG 10.10.20, 6 AZR 94/19 [A]).
Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub entsteht grundsätzlich allein durch den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist restlicher Urlaub abzugelten. Nicht zuletzt dank mehrfacher Klarstellungen durch den EuGH sind diese beiden Grundsätze prägend für die Auslegung und Anwendung urlaubsrechtlicher Vorgaben. Dies gilt auch für die insolvenzrechtlichen Regelungen, die die Rechtsstellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters ausgestalten. Danach sind Masseverbindlichkeiten solche Verbindlichkeiten, die von einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind. Resultieren die Verbindlichkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, sind diese gleichfalls Masseverbindlichkeiten, soweit die Arbeitsleistung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter in Anspruch genommen wurde.
Daraus folgt gerade keine quotale Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs, die das Urlaubsrecht überlagern könnte. Der Gesetzgeber hat für das Insolvenzrecht keine urlaubsrechtliche Sonderregelung getroffen. Es bleibt daher bei der Grundwertung des Urlaubsrechts. Der Urlaubsanspruch ist danach gerade keine Gegenleistung für eine bestimmte Arbeitsleistung. Für dessen Abgeltung kommt es alleine auf den Beendigungszeitpunkt und den dann noch bestehenden Resturlaub an
- Im laufenden Prozess besser nicht eigenmächtig Urlaub nehmen: LAG Baden-Württemberg in AA 21, 20
- Keine Nachgewährung von Urlaubstagen bei Quarantäne: Arbeitsgericht Bonn in AA 21, 146
- Coronapandemie: Nur bei AUB-Nichtanrechnung auf Urlaub: LAG Düsseldorf in AA 21, 203
- Urlaubsverfall bei fehlender Mitwirkung des ArbG: BAG in AA 21, 26
AUSGABE: AA 3/2022, S. 46 · ID: 48012891