VerbringungskostenDas Argument der „Leerfahrten“ ist zurück: Warum das Vorbringen des Versicherers nicht zieht
| Schadenregulierung ist offenbar wie Mode. Abgelegtes kommt nach Jahren wieder nach vorn in den Kleiderschrank. Und so wird aktuell scheinbar das „Leerfahrtenargument“ wieder aus der Mottenkiste geholt, das buchstabengetreu vor etwa acht Jahren schon völlig erfolglos probiert wurde. UE macht Sie mit der Thematik vertraut und liefert einen Textbaustein. |
Versicherer produzieren neue Leerfahrtfantasien
Von verschiedenen Anwälten hat UE folgendes Ablehnungsschreiben erhalten:
„Sie sind mit der Höhe der gezahlten Verbringungskosten nicht einverstanden. Wir haben diese noch einmal geprüft. Der in der Rechnung ausgewiesene Betrag geht offensichtlich von dem denkbar ungünstigsten Fall aus. Danach fährt das Schleppfahrzeug zwei von vier Fahrten ohne Rückauftrag leer. Kalkuliert wird zudem, dass für diese Fahrten andere Aufträge nicht übernommen werden konnten. Davon gehen wir aber nicht aus. Beim Stundenlohn wurde der qualifizierte Satz für Karosserieleistungen zu Grunde gelegt. Dieser ist aus unserer Sicht auf einfache Fahrdienstleistungen nicht ohne weiteres übertragbar. An unserer bisherigen Regulierungsentscheidung halten wir daher weiterhin fest. Bitte haben Sie Verständnis.“
Das Schadenersatzrecht und der Einfluss des Geschädigten
Im Schadenersatzrecht kommt es vor dem Hintergrund des subjektbezogenen Schadenbegriffs (zuletzt BGH, Urteil vom 26.04.2022, Az. VI ZR 147/21, Abruf-Nr. 230188) allein darauf an, ob der Geschädigte einen Einfluss darauf hat, ob sein Fahrzeug im Individual- oder im Sammeltransport verbracht wird.
Die Vorstellung, dass der Geschädigte in der Nähe der Werkstatt dauerhaft ausharrt, um sich im richtigen Moment vor das Transportfahrzeug zu werfen, um es an der Weiterfahrt zu hindern, wenn es nur mit seinem Fahrzeug und nicht auch noch mit anderen Fahrzeugen beladen ist, ist mindestens amüsant, wenn nicht eher abwegig. Vor der Lackiererei müsste der Geschädigte den Vorgang zweifach wiederholen. Wenn der Transport nämlich in der Lackiererei angekommen ist, müsste er die Leer-Rückfahrt verhindern. Und wenn das Fahrzeug fertig lackiert ist, müsste er abermals die Weiterfahrt eines Individualtransports verhindern.
In vergleichbarem Zusammenhang hat das AG Coburg bereits gesagt: „Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass ein Unfallgeschädigter die Reparaturdurchführung ‚überwachen‘ müsse. Die Beklagte hat nicht erklärt, wie dies praktisch umzusetzen geht, ob sie also tatsächlich von einem Unfallgeschädigten erwartet, dass dieser quasi rund um die Uhr neben dem zu reparierenden Fahrzeug ausharrt, um hinterher überprüfen zu können, ob das Fahrzeug tatsächlich zum Zwecke der Lackierung andernorts verbracht wurde oder nicht. Solches wäre lebensfremd.“ (AG Coburg, Urteil vom 20.12.2018, Az. 15 C 1952/18, Abruf-Nr. 206339).
Überprüft man das Ganze auch inhaltlich, gilt: Das Leerfahrtargument mag theoretisch bestechend sein. Jedoch ist es mit dem „richtigen Leben“ nicht in Übereinstimmung zu bringen. Was das nämlich praktisch bedeutet, hat das AG Essen-Borbeck sehr eindrucksvoll herausgearbeitet:
„Dass es üblich sei, dass keine Leerfahrten entstehen, erscheint selbst bei größeren Reparaturbetrieben und Lackierereien ohne tatsächlichen Anhaltspunkt sehr weit hergeholt, weil eine solche Praxis einen nicht unerheblichen Aufwand für die Koordination der Arbeitsabläufe und Termingestaltung beider Betriebe erfordern würde, der vermeintliche Kostenersparnisse bei der Vermeidung von Leerfahrten eher aufzehrt als erzeugt. Gerade im Unfallreparaturgeschäft ist die Vermeidung von Standzeiten der zu reparierenden Fahrzeuge geboten, weil jede vermeidbare Verlängerung von Reparaturzeiten zu einer Erhöhung anderer Kosten (z. B. Mietwagenkosten) führt. Deshalb ist es eher lebensfremd, dass die beteiligten Betriebe die zur Vermeidung von Leerfahrten mindestens erforderlichen drei Fahrzeuge (Fahrt A: Fahrzeug 1 hin, Fahrzeug 2 zurück; Fahrt B: Fahrzeug 3 hin, Fahrzeug 1 zurück) jeweils bis zur passenden Gelegenheit zwischenlagern. Insoweit erscheint es als eine zu vernachlässigende Ausnahme, wenn zufällig keine Leerfahrt anfällt.“ (AG Essen-Borbeck, Urteil vom 28.10.2016, Az. 6 C 97/16, Abruf-Nr. 189882).
Auch das AG Bad Salzungen erkennt, „… dass der Mitarbeiter des Autohauses zurückzufahren hat, denn er kann nicht stunden- oder tagelang in der Lackiererei warten, bis die Lackierung fertiggestellt ist.“ (AG Bad Salzungen, im Urteil vom 20.10.2016, Az. 2 C 132/16, Abruf-Nr. 189988).
Auch Stundenverrechnungssatzargument geht fehl
Ergänzend reklamiert der Versicherer in seinem Schreiben, es sei nicht richtig, für die Transportleistung den Stundenverrechnungssatz für Karosseriearbeiten anzusetzen. Dabei übersieht er zweierlei:
- Erstens liegt die Preisgestaltungsautonomie bei der Werkstatt (BGH, Urteil vom 25.09.2018, Az. VI ZR 65/18, Abruf-Nr. 205554, Rz. 11). Die Werkstatt muss sich im Rahmen des Vereinbarten oder des Üblichen halten, § 632 Abs. 2 BGB. Eine Pauschalierung auf der kalkulatorischen Grundlage „1,x Stunden mal Stundenverrechnungssatz Karosserie“ ist völlig üblich.
- Und zweitens braucht man für den Transport nicht nur einen Fahrer, sondern auch ein Transportfahrzeug. Das wird ja nicht gesondert berechnet, sondern ist in der Pauschale „mit drin“. So rechnen Abschleppunternehmer bekanntlich auch ab, siehe die PuS 2022 des Verbandes Bergen und Abschleppen (vba-ev.de).
- Neu gefasster Textbaustein 425: Verbringungskosten und Leerfahrtphantasien (H)“ → Abruf-Nr. 44400092
- Rechtsanwaltstextbaustein RA066: Verbringungskosten und das Leerfahrten-Argument → Abruf-Nr. 49833746
AUSGABE: UE 1/2024, S. 9 · ID: 49833742