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BilanzVorruhestandsmodell: FG Düsseldorf akzeptiert Rückstellungsbildung
| Ein Unternehmen kann für Arbeitnehmer, denen es eine Freistellung von der Arbeitsleistung gegen Zahlung von 70 Prozent des Gehalts in Aussicht stellt, für die auf künftige Freistellungsphasen mutmaßlich entfallenden Lohnzahlungsverpflichtungen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten bilden. Das hat das FG Düsseldorf entschieden. |
Was Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sind
Rückstellungen sind in der Handelsbilanz nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG auch für die Steuerbilanz.
Lohnzahlungsverpflichtungen sind rückstellungsfähig
Für das FG Düsseldorf sind auch Lohnzahlungsverpflichtungen ungewisse Verbindlichkeiten, die rückstellungsfähig sind. Es begründet das wie folgt (FG Düsseldorf, Urteil vom 24.05.2024, Az. 3 K 2044/18, Abruf-Nr. 242685):
Das sagt der BFH
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen nach der Rechtsprechung des BFH entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist.
Schuldrechtliche Verpflichtung ist durch Vorvertrag nicht erforderlich
Es ist aber keine Voraussetzung, dass schuldrechtliche Verpflichtungen durch einen Vorvertrag, einen aufschiebend bedingten Vertrag, ein unentziehbares Optionsrecht oder ähnliches bereits derart verfestigt sind, dass ihre Entstehung allein noch von einer entsprechenden Willenserklärung des anderen Vertragspartners abhängt. Entscheidend für die Bildung von Rückstellungen nach § 249 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 HGB ist vielmehr, ob das Entstehen der Verbindlichkeit dem Grunde nach überwiegend wahrscheinlich ist.
Dies ist der Fall, wenn mehr Gründe dafür als dagegen sprechen, d. h. wenn also das Entstehen dem Grunde nach eher zu erwarten ist als das Nichtentstehen. Dem Begriff des Wahrscheinlichen ist es wesenseigen, dass das, was als wahrscheinlich bezeichnet wird, das Übergewicht der Gründe („51 %“) für sich hat. Diese Voraussetzung ist nicht nach den subjektiven Erwartungen des Steuerpflichtigen zu prüfen, sondern auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender und spätestens bei Aufstellung der Bilanz erkennbarer Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen.
Klausel im Arbeitsvertrag macht Lohnfortzahlungspflicht wahrscheinlich
Im konkreten Fall ist die Entstehung von Lohnfortzahlungsverpflichtungen für künftige Freistellungsphasen hinreichend wahrscheinlich. Das Unternehmen hatte sich durch entsprechende Klauseln in Anstellungsverträgen vertraglich verpflichtet, dem jeweiligen Arbeitnehmer auf dessen Wunsch eine dreijährige Freistellung von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung von 70 Prozent des Gehalts zu gewähren. Dass der konkrete Beginn der Freistellung nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Klausel den Abschluss eines weiteren Vertrags – nämlich „eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Mitarbeiter entsprechend einem betriebsüblichen Vereinbarungstext in der jeweils gültigen Fassung“ – voraussetzte, ist unerheblich.
Das Unternehmen habe ihren Arbeitnehmern mit der konkreten Freistellungsregelung ein derart attraktives Angebot gemacht, dass sich die Annahme des Angebots durch den Arbeitnehmer geradezu aufdrängt. Dabei konnte das Unternehmen auf Erfahrungen zurückgreifen, die es in der Vergangenheit mit vergleichbaren – wenngleich damals noch ohne schriftliche Zusage praktizierten – Vorruhestandsmodellen gemacht hatte. Tatsächlich hatten bis zum Ende des Streitzeitraums 38 der 39 berechtigten Mitarbeiter von der Freistellungsregelung Gebrauch gemacht. Dies legte bei prognostischer Betrachtung nahe, dass die Freistellungszusage auch in Zukunft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Großteil der berechtigten Arbeitnehmer angenommen werden würde.
Ungewisse Verbindlichkeit war auch vorher entstanden
Die Bildung der Rückstellung verlangt darüber hinaus, dass die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in der davorliegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist. Auch diese Voraussetzung lag für das FG hier vor. Bezogen auf ein laufendes Arbeitsverhältnis ist das Erfordernis erfüllt, wenn eine künftige Leistung des Arbeitgebers im Hinblick auf eine schon bewirkte Leistung des Arbeitnehmers geschuldet wird. Dies ist vom BFH u. a. für rechtsverbindlich zugesagte Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmerjubiläums angenommen worden.
Auch im Streitfall handelt es sich bei der während der Freistellungsphase zu zahlenden Vergütung um eine Gratifikation für in vergangenen Dienstjahren geleistete Dienste. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Arbeitnehmer – außer dem Erreichen einer bestimmten Betriebszugehörigkeit – keine weiteren Voraussetzungen erfüllen muss, um sich das Recht zu „erdienen“, in den letzten drei Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze ohne weitere Arbeitsleistung 70 Prozent seiner letzten Bruttobezüge erhalten zu dürfen. Insbesondere muss er vorher keine Zeitguthaben auf einem Zeitkonto ansparen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von anderen Vorruhestandsmodellen, insbesondere von Blockalterszeitmodellen, in denen sich der Vorruhestand in eine Ansparphase und eine anschließende Freistellungsphase unterteilt (z. B. vier Jahre 100 Prozent Arbeitsleistung bei 80 Prozent Gehalt, gefolgt von einem Jahr Freistellung zu 80 Prozent Gehalt). In einem solchen Fall steht die in der Freistellungsphase gezahlte Vergütung ausschließlich in Zusammenhang mit der in der Ansparphase erbrachten Arbeitsleistung.
FG lässt Revision zu
Das FG hat die Revision zugelassen, um eine einheitliche Rechtsprechung sicherzustellen. Beim BFH ist nämlich unter dem IV R 22/22 schon ein Revisionsverfahren anhängig. Das lautet: „Darf der Arbeitgeber eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten oder wegen drohender Verluste bilden, weil er seinen Arbeitnehmern nach dem Tarifvertrag ab einer mindestens zehnjährigen Betriebszugehörigkeit und Überschreiten der Altersgrenze von 60 Jahren zusätzliche bezahlte Altersfreizeit von zwei Arbeitstagen je vollem Jahr der Betriebszugehörigkeit zu gewähren hat?“
Zum FG Düsseldorf war die Revision bis zum Redaktionsschluss aber nicht eingelegt.
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