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VerwaltungsverfahrenAuch bei der Entscheidung durch einen Gerichtsbescheid entsteht fiktive Terminsgebühr
| Die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht nach Ansicht des BayVGH auch, wenn ein verwaltungsgerichtliches Verfahren nach § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO durch einen Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Dass die obsiegende Beklagtenpartei im Hauptsacheverfahren in vollem Umfang obsiegt hat, schließt das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nicht aus. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Wird ein verwaltungsgerichtliches Verfahren durch einen Gerichtsbescheid beendet und die Klage abgewiesen, werden die Verfahrenskosten dem Kläger auferlegt. Hat keiner der Beteiligten die Zulassung der Berufung bzw. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, lehnen die Gerichte in dem folgenden Kostenfestsetzungsverfahren oft eine Terminsgebühr nach Anm. 1 Nr. 2 zu Nr. 3104 VV RVG zugunsten der obsiegenden Beklagtenpartei ab. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung möglich gewesen wäre, obwohl die Beklagtenpartei in vollem Umfang obsiegt hat. In zwei Entscheidungen hat der BayVGH dieser Auffassung eine Absage erteilt (25.10.23, 6 C 23.1652, Abruf-Nr. 239992; 4.10.23, 4 C 23.1580, Abruf-Nr. 239993).
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidungen sind richtig. Für das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr genügt es nämlich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, dass bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid „eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“, also ein entsprechender Antrag nach dem Gesetz statthaft ist. Diese Möglichkeit besteht für die Beteiligten in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nrn. 2, 4 und 5 VwGO, nicht aber in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nrn. 1 oder 3 VwGO. Ob der einzelne Beteiligte durch den Gerichtsbescheid beschwert wird, ist somit unbeachtlich.
Beachten Sie | Darüber hinaus gibt es keinen überzeugenden Grund für eine restriktive Auslegung des Gesetzeswortlauts, die sich auf die Beschwerde des einzelnen Beteiligten konzentriert. Es stellt sich gerade die Frage, ob die beabsichtigte typisierende Steuerungswirkung des Gesetzgebers ausreicht, um dem Rechtsanwalt der vollständig obsiegenden Partei die fiktive Terminsgebühr zu verweigern, die jedoch dem im gleichen Verfahren für die vollständig unterlegene Partei tätigen Rechtsanwalt gewährt wird.
Ebenso wenig überzeugt die Auslegung, dass die vollständig obsiegende Partei das Gericht nicht zu einer mündlichen Verhandlung zwingen kann und daher keinen Gebührenanreiz benötigt. Dies ist besonders relevant in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nrn. 2, 4 und 5 VwGO, in denen selbst bei einem unzulässigen Antrag – unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK – durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden muss (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., Rn. 21 m. w. N.). Da § 84 VwGO keinen Verwerfungsbeschluss vorsieht, gelten die allgemeinen prozessrechtlichen Regeln in Abwesenheit einer speziellen gesetzlichen Grundlage. Daher ist auch über Zulässigkeitsfragen aufgrund mündlicher Verhandlung – vorbehaltlich eines Verzichts, § 101 Abs. 2 VwGO – durch Urteil zu entscheiden.
Die Entscheidungen des BayVGH haben Auswirkungen auf das Verhalten des Prozessbevollmächtigten bei der Kostenfestsetzung:
- Wenn der Kostenfestsetzungsbeschluss noch nicht rechtskräftig ist, gilt: Hat das Gericht die Festsetzung einer Terminsgebühr versagt, sollte der Anwalt einen Antrag auf Entscheidung des Gerichts stellen, d. h. Erinnerung einlegen (§§ 165, 151 VwGO). Über die Erinnerung entscheidet der Richter, sofern ihr der Urkundsbeamte nicht abhilft.
- Beachten Sie | Die Erinnerung ist immer wertunabhängig.
- Gegen die Entscheidung des Richters am VG über die Erinnerung ist die Beschwerde gegeben (§ 146 VwGO), sofern der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 200 EUR übersteigt (§ 146 Abs. 3 VwGO). Eine Zulassung der Beschwerde bei Werten von unter 200,01 EUR ist nicht möglich.
- Beachten Sie | Der Richter kann der Beschwerde abhelfen. Anderenfalls legt er die Sache dem OVG/VGH vor, das abschließend entscheidet. In allen anderen Fällen kann die Entscheidung über die Erinnerung nicht angefochten werden, also bei einer erstinstanzlichen Festsetzung durch das OVG/den VGH oder das BVerwG. Denn eine Rechtsbeschwerde oder weitere Beschwerde kennt die VwGO nicht.
- Wenn eine Nachfestsetzung möglich ist, gilt:Das gilt, wenn eine Nachfestsetzung möglich ist
- Wurde die Festsetzung einer Terminsgebühr schlichtweg vergessen, kann dies im Weg einer Nachfestsetzung korrigiert werden. Die Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich desselben Postens ist trotz Rechtskraft des KFB grundsätzlich möglich (OLG Stuttgart MDR 09, 1136 zur Nachfestsetzung der Umsatzsteuer; BVerfG Rpfleger 95, 476 zur Nachfestsetzung der Erhöhungsgebühr für Mehrvertretung; BGH RVG prof. 11, 38 zur Nachfestsetzung restlicher Verfahrensgebühren).
- Versagt das Gericht die Festsetzung einer Terminsgebühr, sollte der Anwalt einen Antrag auf Entscheidung des Gerichts stellen, d. h. Erinnerung einlegen (§§ 165, 151 VwGO). Hierüber entscheidet der Richter, sofern ihr der Urkundsbeamte nicht abhilft.
- Alte Anträge überprüfen: Nachfestsetzung restlicher Verfahrensgebühren ist möglich, RVG prof. 11, 38
AUSGABE: RVGprof 4/2024, S. 66 · ID: 49931863