Übersicht zur Mittelgebühr§ 14 RVG: Aktuelle Entscheidungen von 2019 bis 2021 in Strafsachen
| Bei den Gebühren im Strafverfahren handelt es sich i. d. R. um sogenannte Rahmengebühren. Der Rechtsanwalt kann also die Höhe seiner Gebühren grundsätzlich innerhalb der vorgegebenen Rahmen selbst bestimmen. Die folgende Zusammenstellung der Rechtsprechung ab ca. 2019 soll Ihnen bei der Ermittlung der richtigen Gebührenhöhe Hilfestellung geben (wegen weiterer Einzelheiten s. Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Teil A: Rahmengebühren [§ 14], Rn. 1747 ff.; zur Übersicht zu Bußgeldverfahren RVG prof. 21, 192). |
Übersicht / Rechtsprechung zu § 14 RVG in Strafsachen | ||
Gebühr | Gericht/Fundstelle | Inhalt |
Allgemeines | OLG Celle | Der Rechtsanwalt ist an sein nach § 14 Abs. 1 RVG einmal ausgeübtes Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden. Das gilt auch, wenn er erkennbar entstandene Gebühren fehlerhaft (nicht) geltend gemacht hat. |
Allgemeines | LG Aachen 26.5.21, 60 Qs 18/21 |
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Allgemeines | LSG Thüringen | Eine einmal getroffene Gebührenbestimmung ist bindend; es sei denn der Rechtsanwalt hat einen Gebührentatbestand versehentlich übersehen oder wenn sich nachträglich wesentliche Änderungen hinsichtlich der für die Bestimmung des Gebührensatzes maßgeblichen Umstände ergeben haben, die bei Rechnungsstellung noch nicht bekannt gewesen sind. |
Allgemeines | BVerwG AGS 20, 19 | Das Gericht ist nicht befugt, durch eine eigene Bestimmung der „billigen Gebühr“ das dem Rechtsanwalt zustehende Ermessen an sich zu ziehen. |
Begriff der Unbilligkeit | LG Aachen 26.5.21, 60 Qs 18/21; LG Chemnitz AGS 20, 544; LG Hechingen RVGreport 19, 376; AG Charlottenburg RVGreport 20, 257 | Unbillig i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist eine Gebührenbestimmung, wenn sie um 20 Prozent oder mehr von der Gebühr abweicht, die sich unter Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG genannten Bemessungsgrundlagen ergibt. |
Begriff der Unbilligkeit | LG Aachen 26.5.21, 60 Qs 18/21 | Liegt keine Ermessensentscheidung des Rechtsanwalts vor, sondern hat der Rechtsanwalt die Gebührentatbestände z. B. wegen einer psychischen Erkrankung des Mandanten ohne Berücksichtigung der hierdurch jeweils abgegoltenen Tätigkeit pauschal erhöht, ist die vom Verteidiger vorgenommene Gebührenbestimmung auch dann unbillig, wenn sie die Toleranzgrenze von 20 Prozent nicht überschreitet. |
Begriff der Unbilligkeit | OVG Bautzen NJW 19, 1695 | Erweist sich bei der Festsetzung der zu erstattenden Kosten eine Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts als unbillig i. S. v. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG, setzt das Gericht die im Einzelfall objektiv angemessene Gebühr selbst fest, ohne sie um einen Toleranzzuschlag von 20 Prozent zu erhöhen. |
Begriff der Unbilligkeit | BayLSG RVGreport 20, 216 | Bei der Festlegung der 20-Prozent-Toleranzgrenze sind nicht die gesamten Gebühren des Verfahrensabschnitts maßgebend, sondern es ist auf die einzelne Gebühr abzustellen. |
Mittelgebühr | LG Chemnitz RVGreport 20, 104; LG Wuppertal AG Heilbad Heiligenstadt AG Viechtach | Bei der Feststellung der angemessenen Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG ist eine Abwägung aller Umstände, d. h. der gebührenerhöhenden und -mindernden, vorzunehmen; dabei ist von der Mittelgebühr auszugehen. |
Höchstgebühr | LG Aachen JurBüro 20, 298 | Die Höchstgebühr kann nur in Betracht kommen, wenn zumindest einzelne Kriterien den Durchschnitt aller gewöhnlich vorkommenden Fälle beträchtlich überschreiten bzw. die Rechtssache insgesamt zu den bedeutendsten der in den jeweiligen Rahmen angesprochenen Verfahren gehört. |
Höchstgebühr | LG Hechingen 29.5.20, 3 Qs 43/20 | Eine zeitintensive Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung kann die Festsetzung der Höchstgebühr rechtfertigen. |
Höchstgebühr | LG Köln JurBüro 21, 254 | Ein Betrugsverfahren mit 21 Betrugstaten und der Beweisführung durch Indizienbeweise kann bei der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG die Höchstgebühr rechtfertigen. |
Mindestgebühr | LG Hamburg AGS 20, 273 = JurBüro 20, 354 | Die kurze Dauer des Hauptverhandlungstermins in einer abgetrennten Sache ist bei der Höhe der Gebühr Nr. 4108 VV RVG zu berücksichtigen; sie kann rechtfertigen, dass nur die Mindestgebühr verdient ist. |
Bedeutung der Angelegenheit | OLG Celle JurBüro 20, 523 | Zur (hohen) die Bedeutung der Angelegenheit für die durch das Tatgeschehen einer sexuellen Nötigung über geraume Zeit und noch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung insbesondere psychisch erheblich beeinträchtigte Nebenklägerin |
Bedeutung der Angelegenheit | LG Hamburg AGS 20, 273 = JurBüro 20, 354 | Muss der Angeklagte als Strafvollzugsbeamter im Verurteilungsfall mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen, zeigt das die individuelle Bedeutung des Verfahrens für den Angeklagten und kann damit gebührenerhöhend wirken. |
Bedeutung der Angelegenheit | LG Hechingen RVGreport 19, 376 | Die Angelegenheit ist für den Angeklagten durchaus bedeutend, wenn er, nachdem er noch keine Eintragung im Bundeszentralregister aufgewiesen hat, im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung zu befürchten hat, dass sein Führungszeugnis nach §§ 30 ff. BZRG nicht mehr eintragungsfrei sein wird und ihm ein für sein berufliches Fortkommen als Physiotherapeut massiv schädigender Vorwurf eines sexuellen Übergriffes zur Last gelegt wird. |
Umfang | LG Aachen JurBüro 20, 298 | Umfangreiche Akten mit 1.338 Blättern nebst 75 Fallakten bis zur Anklageerhebung stellen zwar einen beträchtlichen, jedoch für Verfahren vor der großen Strafkammer nicht völlig ungewöhnlichen Umfang dar. |
Umfang | LG Hechingen, 29.5.20, 3 Qs 43/20 | Eine zeitintensive Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung kann die Festsetzung der Höchstgebühr rechtfertigen. |
Schwierigkeit | LG Aachen JurBüro 20, 298 | Die Schwierigkeit des Verfahrens ist bei einer Komplexität des Tatgeschehens, einer Vielzahl von Beweismitteln, nach den Ermittlungen verbliebenen Beweisunsicherheiten, der Mehrzahl von Beteiligten, der Ausländereigenschaft des Beschuldigten und damit einhergehender Verständigungserschwernisse als weit überdurchschnittlich einzustufen. |
Grundgebühr | LG Aachen 26.5.21, 60 Qs 18/21 | Sind wesentliche Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 RVG als eher unterdurchschnittlich anzusehen und ist aufgrund einer psychischen Erkrankung des Mandanten ausschließlich die Informationsbeschaffung im Rahmen des Erstgesprächs als überdurchschnittlich anzusehen, kann auch unter Berücksichtigung rechtlicher Schwierigkeiten des Rechtsfalls davon auszugehen sein, dass unter Berücksichtigung des konkreten Umfangs der entfalteten anwaltlichen Tätigkeit bezogen auf den Abgeltungsbereich der Grundgebühr im Vergleich sämtlicher Strafverfahren einschließlich Schwurgerichts- oder Wirtschaftsstrafverfahren insgesamt der Ansatz einer Mittelgebühr angemessen ist. |
Verfahrensgebühr | OLG Celle JurBüro 20, 523 | Wenn vom Angeklagten Revision eingelegt und mit der Sachrüge begründet worden ist und damit eine materiell-rechtliche Prüfung durch den Nebenklägervertreter notwendig ist/wird, ist bei der Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr für den Nebenklägervertreter die Festsetzung einer die Mittelgebühr der Nr. 4130 VV RVG um 20 Prozent überschreitenden Gebühr nicht unbillig i. S. v. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. |
Terminsgebühr | OLG Oldenburg RVG prof. 21, 116 | Die Dauer der Verhandlung ist ein objektiver Gradmesser für die Bestimmung der Terminsgebühr. |
Terminsgebühr | LG Detmold RVGreport 19, 73 | Hauptkriterium für die Höhe der Terminsgebühr ist die Dauer der Hauptverhandlung. Als durchschnittliche Dauer einer Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht ist ein Zeitraum von zwei bis drei Stunden anzunehmen. |
Terminsgebühr | AG Saarlouis 9.9.20, 6 Ls 35 Js 1187/19 (49/19); AG Saarlouis 15.1.21, 6 Ls 35 Js 1187/19 (49/19) | Eine Terminsdauer von nur 51 Minuten ist für eine Strafsache beim Schöffengericht unterdurchschnittlich. |
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AUSGABE: RVGprof 12/2021, S. 208 · ID: 47493214