SteuerplanungSteuerliche Folgen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung
| Die grenzüberschreitende Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft mit gleichzeitigem Rechtsformwechsel gehört zu den Mitteln, um strategische Ziele zu verfolgen, insbesondere um in den Genuss von Standortvorteile – auch steuerrechtlicher Art – zu gelangen (vgl. Wilke PIStB 18, 97). Damit in diesem Bereich innerhalb der EU einheitliche Standards gelten, ist die Umwandlungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121 vom 27.11.19) erlassen worden. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 10.11.22 (C-414/21) Gelegenheit, zu einem Aspekt dieses Bereichs Stellung zu nehmen. |
Sachverhalt
VP Capital, eine in Luxemburg gegründete Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg, verbuchte Teilwertabschreibungen auf verschiedene Beteiligungen, die sie an anderen Gesellschaften hielt. Sie zog diese Wertminderungen von ihren Steuerergebnissen in Luxemburg ab, was zu einer Erhöhung ihrer vortragsfähigen Verluste führte. Aufgrund ihrer defizitären Lage konnte VP Capital diese vortragsfähigen Verluste in Luxemburg nicht geltend machen. Im Mai 09 verlegte VP Capital ihren Sitz nach Belgien und wurde in eine Gesellschaft belgischen Rechts umgewandelt.

Nach der Verlegung nahm VP Capital einen Teil der Wertminderungen zurück (Wertaufholung). Sie berief sich auf die belgische Befreiungsregelung für Rücknahmen von Wertminderungen auf Aktien oder Gesellschaftsanteile. Allerdings ist nach belgischem Steuerrecht für diejenigen Gesellschaften, die ihren Sitz nach Belgien verlegt haben, vorgeschrieben, dass derartige Wertaufholungen – sofern sie Teilwertabschreibungen betreffen, die im Wegzugsstaat vorgenommen wurden – auf einem gesonderten Passivkonto verbucht werden, was VP Capital nicht getan hatte. Deswegen vertrat die belgische Finanzverwaltung die Auffassung, dass die Wertaufholung steuerpflichtig sei.
Da demgegenüber bei einer belgischen Gesellschaft, die Wertverluste bei Aktien in Belgien verbucht hat, die Wertaufholung nicht besteuert wird, sofern die Wertverluste nicht vorher vom belgischen steuerpflichtigen Ergebnis abgezogen worden sind, und zwar ohne dass die Wertzuwächse, die sich hinter dieser Rücknahme der Teilwertabschreibung verbergen, auf einem gesperrten Passivkonto verbucht werden müssen, legte der belgische Kassationshof dem EuGH das Verfahren im Hinblick auf Art. 49 AEUV vor: Ist diese unterschiedliche Behandlung von zugezogenen Gesellschaften und originär ansässigen Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar?
Entscheidungsgründe
Der EuGH hat die Frage bejaht. Nach Art. 49 AEUV i. V. m. Art. 54 AEUV genießen diejenigen Gesellschaften Niederlassungsfreiheit, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der EU haben. Diese Freiheit umfasst auch das Recht einer solchen Gesellschaft, ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Ferner folgt aus dieser Freiheit auch das Recht, gegen die steuerlichen Folgen der Sitzverlegung im Aufnahmemitgliedstaat vorzugehen.
Dieses Recht zur Verlegung des Sitzes garantiert jedoch nicht, dass eine solche Verlagerung steuerneutral ist oder zu sein hat. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich kann diese Verlegung je nach dem Einzelfall steuerlich mehr oder weniger vorteilhaft oder nachteilig sein.
Merke | Die Niederlassungsfreiheit bedeutet nicht, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, seine Steuervorschriften an die anderer Mitgliedstaaten anzupassen, um in allen Situationen eine Besteuerung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen Steuerregelungen ergibt, beseitigt. Hierzu verweist der Gerichtshof auf die Grundsätze im Urteil vom 27.2.20 (C-405/18, Rs. AURES Holding). |
Die Regelung im belgischen Steuerrecht schafft unstreitig eine Ungleichbehandlung zwischen zugezogenen Gesellschaften und denjenigen Gesellschaften, die seit Beginn an ihren satzungsmäßigen Sitz in Belgien haben. Zu prüfen ist daher, ob eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte gegeben ist. Dies ist aber nach Auffassung des EuGH zu verneinen: Eine Gesellschaft, die eine grenzüberschreitende Verlegung vornimmt, unterliegt nacheinander der Steuerhoheit zweier Mitgliedstaaten, und zwar zum einen des Wegzugsstaats für den Zeitraum, in dem Wertminderungen verbucht wurden, und zum anderen des Aufnahmemitgliedstaats für den Zeitraum, in dem die Wertaufholung verbucht wird. Aufgrund der fehlenden Besteuerungsbefugnis des Zuzugsstaates für den Zeitraum, in dem Teilwertabschreibungen verbucht wurden, befindet sich eine Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz in diesen Mitgliedstaat verlegt hat und die dort anschließend Wertaufholung verbucht, nicht in einer Situation, die mit der einer Gesellschaft vergleichbar ist, die der Besteuerungsbefugnis dieses Mitgliedstaats bereits für den Zeitraum unterlag, in dem die Teilwertabschreibungen verbucht wurden.
Im vorliegenden Fall ist außerdem festzustellen, dass die VP Captial im Ausgangsverfahren in Luxemburg, ihrem Herkunftsmitgliedstaat, die Teilwertabschreibungen geltend gemacht hat, was aufgrund ihrer defizitären Lage zu einer Erhöhung ihrer vortragsfähigen Verluste geführt hat. Der Umstand, dass sie diese Minderungen nicht tatsächlich von ihrem steuerpflichtigen Ergebnis in Luxemburg abziehen konnte, ergibt sich aus ihrer anschließenden Entscheidung, durch diese Verlegung ihre Niederlassungsfreiheit auszuüben.
Die Niederlassungsfreiheit umfasst nicht den Anspruch, Handlungen mit grundsätzlich steuerlichen Auswirkungen, die im Wegzugsstaat vorgenommen wurden, steuerneutral im Zuzugsstaat zu kompensieren.
Der EuGH hat demnach auf die Vorlagefrage geantwortet, dass Art. 49 AEUV einer nationalen Steuervorschrift nicht entgegensteht, nach der Wertaufholungen bei Wertpapieren, die von einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nach der Verlegung ihres satzungsmäßigen Sitzes in diesen Mitgliedstaat verbucht wurden, als „nicht verwirklichte Mehrwerte“ behandelt werden. Das gilt ohne Rücksicht darauf, ob auf diese Wertpapiere Teilwertabschreibungen zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurden, zu dem die Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich ansässig war.
Fazit | Bei einer geplanten Sitzverlegung ist somit sehr sorgfältig zu prüfen, ob sich diese im Zuzugsstaat steuerlich positiv oder negativ auswirken wird; eine Garantie, dass sie steuerneutral erfolgen muss, ergibt sich aus der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV nicht. |
Relevanz für die Praxis
Bei einem rein innerdeutschen Vorgang gilt nach der Rechtsprechung des BFH Folgendes: Wertaufholungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1, § 8b Abs. 8 KStG, denen in früheren Jahren sowohl steuerwirksame als auch steuerunwirksame Anteilsabschreibungen auf den niedrigeren Teilwert vorangegangen sind, sind nach § 8b Abs. 8 S. 2 KStG vorrangig mit dem Gesamtvolumen früherer steuerunwirksamer Teilwertabschreibungen zu verrechnen (BFH 13.2.19, I R 21/17, BStBl II 19, 567; 19.8.09, I R 2/09, BStBl II 10, 760). Ob diese Grundsätze auch dann gelten würden, wenn die steuerwirksamen Teilwertabschreibungen im Ausland und die Wertaufholung in Deutschland erfolgt, erscheint nach der Rechtsprechung des EuGH fraglich.
Am 28.2.2.23 wurde das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) verkündet (BGBl I Nr. 51), sodass es am 1.3.23 in Kraft trat. Das UmRUG setzt die EU-Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen um und enthält auch wesentliche Änderungen für nationalen Umwandlungen.
AUSGABE: PIStB 4/2023, S. 90 · ID: 48959260