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BetriebshaftpflichtOLG Nürnberg: Nur ein grob unbilliger Vergleich bindet den Versicherer nicht

Abo-Inhalt24.11.2021772 Min. LesedauerVon Moritz Lennich, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, franz+partner rechtsanwälte, Köln

| Ein Berufshaftpflichtversicherer, der sich gegen die Übernahme der Prozessführung entscheidet, ist grundsätzlich an einen im Haftpflichtverhältnis (also im Verhältnis der beteiligten Parteien) geschlossenen Vergleich gebunden, auch wenn er nicht ausdrücklich zustimmt. Das hat das OLG Nürnberg entschieden. Lernen Sie die Entscheidung kennen und erfahren Sie, welche Konsequenzen für die Praxis daraus resultieren. |

Der Versicherungs-/Vergleichsfall vor dem OLG Nürnberg

Im konkreten Fall hatte eine WEG gegen „ihren“ Bauträger ein Beweissicherungsverfahren wegen Baumängeln eingeleitet. Daraufhin verkündete der Bauträger seinem Architekten den Streit. Die Haftpflichtversicherung des Architekten erteilte eine Deckungszusage („Abwehrdeckung“).

Nach rund vier Jahren entschlossen sich sämtliche Verfahrensbeteiligten, also auch der Architekt, sich gütlich zu einigen. Daraufhin lehnte die Versicherung weiteren Deckungsschutz ab. Sie begründete dies damit, dass die Schadensmeldung erst nach dem abgelaufenen Nachhaftungszeitrum erfolgt sei.

Der Architekt schloss mit dem Bauträger trotzdem einen außergerichtlichen Vergleich. Darin verpflichtete er sich, dem Bauträger 130.000 Euro zu zahlen. Der Bauträger wiederum schloss mit der WEG einen gerichtlichen Vergleich, wonach er an diese einen Betrag von 200.000 Euro zahlen musste. Mit der Nürnberger Klage wollte der Architekt erreichen, dass seine Haftpflichtversicherung den Vergleichsbetrag mit dem Bauträger übernimmt.

Architekt gewinnt gegen Berufshaftpflichtversicherer

Die Klage war von Erfolg gekrönt. Das OLG entschied, dass die Versicherung an den außergerichtlichen Vergleich zwischen Architekt und Bauträger gebunden war. Zwar kommt eine Bindung an einen Vergleich nur in zwei Fällen Betracht (Hintergrund ist die umfassende Abwehrzuständigkeit des Versicherers im Haftpflichtprozess):

  • Der Vergleich ist mit Zustimmung des Versicherers abgeschlossen worden.
  • Ohne den Vergleich würde wirklich eine Haftpflichtschuld des Architekten bestehen; nach rechtlichen Gesichtspunkten würde er tatsächlich haften.

Verzicht auf Prozessführung bindet Versicherer

Entscheidet sich der Versicherer aber wie hier gegen die Prozessführung, dann ist er auch ohne Zustimmung oder ohne Haftpflichtschuld an einen im Haftpflichtprozess geschlossenen Vergleich gebunden. Der Versicherer kann sich in diesem Fall nicht darauf berufen, dass der Vergleich nicht sachgerecht gewesen ist, so das OLG Nürnberg (Beschluss vom 09.08.2021, Az. 8 U 1012/21, Abruf-Nr. 225378).

Ausnahmetatbestand war nicht erfüllt

Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Versicherungsnehmer (=Architekt) in zumindest leichtfertiger Weise seine eigenen wohlverstandenen Interessen missachtet hat. Davon ist dann auszugehen, wenn er einen Betrag anerkannt hat, der grob unbillig ist und den Versicherer in sachlich nicht gerechtfertigter Weise belastet.

Einen solchen Ausnahmefall hatte das OLG Frankfurt definiert. Dort hatte der Schädiger eine „krass überhöhte“ Schmerzensgeldforderung anerkannt. An die war der Versicherer nach Ansicht des Gerichts deshalb nicht gebunden, weil der versicherte Schädiger erkennbar alles tun wollte, um dem Geschädigten einen möglichst hohen Entschädigungsbetrag zukommen zu lassen, ohne persönlich tatsächlich dafür einstehen zu müssen (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.02.2012, Az. 3 U 307/10, Abruf-Nr. 225848).

Wichtig | Im konkreten Fall hatte für das OLG Nürnberg eine solche Ausnahme aber nicht vorgelegen. Der Haftpflichtversicherer musste sich also so behandeln lassen, als hätte er dem Vergleich zugestimmt.

Die Konsequenz für die Praxis

Für die Praxis hat diese Entscheidung große Auswirkungen: Nicht selten scheitern Vergleichsbemühungen nämlich an der Abwehrhaltung von Haftpflichtversicherern. Diese werden nunmehr aber in die Pflicht genommen, schon zu Beginn – also im Rahmen der Deckungszusage – zu prüfen, ob möglicherweise rechtliche Einwendungen vorliegen, die gegen ihre Inanspruchnahme sprechen.

Hat ein Haftpflichtversicherer aber erst einmal eine Deckungszusage erteilt, ist der Architekt bei einer unberechtigten nachträglichen Deckungsverweigerung legitimiert, „sachgerechte“ Lösungen zu finden. Bei entsprechender Rechtslage kann diese Lösung auch darin bestehen, Vergleiche zu schließen.

Weiterüfhrende Hinweise
  • Beitrag „Mangelvorwurf: Wann Verjährungsfristen gehemmt werden und wann sie wie weiterlaufen“, PBP 9/2021, Seite 15 → Abruf-Nr. 47580946
  • Beitrag „Haftpflicht: In diesen Fällen sind schadensbedingte Prämienerhöhungen erstattungsfähig“, PBP 4/2021, Seite 18 → Abruf-Nr. 47187155
  • Beitrag „Gesamtschuldnerische Haftung: OLG verlängert Ausgleichszeit im Innenverhältnis auf zehn Jahre“, PBP 9/2020, Seite 18 → Abruf-Nr. 46809476

AUSGABE: PBP 12/2021, S. 14 · ID: 47808976

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