Geringfügige BeschäftigungGeringfügigkeitsgrenze und Mindestlohn unter einen Hut bringen – so gelingt es in der Praxis
| Mit den neuen Regelungen zur geringfügigen Beschäftigung zum 01.10.2022 knüpft der Gesetzgeber die Geringfügigkeitsgrenze an den Mindestlohn und eine Wochenarbeitszeit von zehn Stunden/Woche. Das führt dazu, dass bei Vereinbarung einer entsprechenden Wochenarbeitszeit die Geringfügigkeitsgrenze bzw. die geschuldete Arbeitszeit auf Jahresbasis leicht über der Geringfügigkeitsgrenze liegt (LGP 8/2022, Seite 173). Das wirft Fragen der Umsetzung in der Praxis auf. LGP macht Sie damit vertraut und erläutert zugleich die Lösung für Betriebe in der Praxis. |
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Bei der Vereinbarung einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden/Woche ergibt sich, dass der Arbeitnehmer von Woche zu Woche Arbeitszeit im Umfang von zehn Stunden/Woche schuldet; nach den Bestimmungen des Mindestlohnrechts ist diese Stundenanzahl auch vom Arbeitgeber zu vergüten.
Lässt man einen derartigen Vertrag über das ganze Kalenderjahr „durchlaufen“, dann errechnet sich für ein Kalenderjahr (je nach Anzahl der Kalendertage bzw. vertraglich vereinbarten Arbeitstage) bei angenommen
- 261 Arbeitstagen (Montag bis Freitag) eine Arbeitszeit von 522 Stunden/Jahr (365 Tage : 7 x 5 = 261 Tage; 261 Tage : 5 Tage/Woche = 52,2 Wochen; 52,2 Wochen x 10 Stunden = 522 Stunden/Jahr) bzw.
- bei 262 Arbeitstagen (Schaltjahr) von 524 Stunden (366 Tage : 7 x 5 = 262 Tage; 262 Tage : 5 Tage/Woche = 52,4 Wochen; 52,4 Wochen x 10 Stunden = 524 Stunden/Jahr).
Sozialversicherungsrechtliche Problematik
Die Geringfügigkeitsgrenze bezieht sich auf eine Obergrenze der Arbeitszeit von maximal 520 Stunden/Jahr, multipliziert mit dem Mindestlohn von (derzeit) zwölf Euro/Stunde, im Ergebnis also 6.240 Euro/Jahr.
Der Arbeitnehmer kann aufgrund der Bestimmungen des Mindestlohnrechts für alle vereinbarten Arbeitsstunden Mindestlohn verlangen; eine Unterschreitung würde einen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz darstellen. Somit würde die mindestlohnkonforme Auszahlung der vereinbarten Arbeitszeit zur Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze führen:
Beispiel: Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze | |
Mehr als 6.240 Euro/Jahr fällig 261 Arbeitstage x 2 Stunden/Tag x 12 Euro | 6.264 Euro/Jahr Lohnanspruch |
262 Arbeitstage x 2 Stunden/Tag x 12 Euro | 6.288 Euro/Jahr Lohnanspruch |
Mindestlohnrechtliche Problematik
Werden dem Arbeitnehmer (etwa im Rahmen eines verstetigten Entgelts von 12 x 520 Euro/Monat) nur 6.240 Euro (Geringfügigkeitsgrenze) ausgezahlt, wird der Stundenlohn von zwölf Euro/Stunde knapp verfehlt, was einen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz darstellen würde.
6.240 Euro/Jahr : (261 Arbeitstage x 2 Stunden/Tag) | 11,95 Euro/Stunde |
6.240 Euro/Jahr : (262 Arbeitstage x 2 Stunden/Tag) | 11,91 Euro/Stunde |
Gestaltung für die Praxis
Die obige Problematik lässt sich dadurch „bereinigen“, dass im Arbeitsvertrag eindeutig auf die Geringfügigkeitsgrenze Bezug genommen wird. Da die vereinbarte Arbeitszeit aufgrund der Bestimmungen des Nachweisgesetzes im Arbeitsvertrag festgelegt sein muss, muss erkennbar werden, dass insoweit nicht die Bestimmungen des allgemeinen Arbeitsrechts, sondern die des Sozialversicherungsrechts die geschuldete Arbeitszeit definieren.
Formulierungsvorschlag / „Geringfügigkeitsmaß“ bei Arbeitszeit |
Die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit beträgt durchschnittlich zehn Stunden/Woche. Es wird jedoch maximal die im Rahmen geringfügiger Beschäftigung zulässige Arbeitszeit geschuldet und vergütet.“ |
Mit dieser Formulierung wird die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit sozusagen auf das Maß „zurechtgestutzt“, das sozialversicherungsrechtlich unbedenklich möglich ist. In der pragmatischen Umsetzung einer solchen Regelung muss der Arbeitgeber dann allerdings darauf achten, dass der Arbeitnehmer auch tatsächlich entsprechend weniger Arbeitszeit leistet. Der Arbeitgeber hat insoweit ein Weisungsrecht (§ 106 GewO); die Art der Reduzierung der Arbeitszeit muss nicht vertraglich vereinbart werden.
Die Reduzierung der vereinbarten Arbeitszeit auf das zulässige „Geringfügigkeitsmaß“ könnte etwa dadurch erfolgen, dass bei einer (rein rechnerischen) gleichmäßigen Verteilung der Arbeitszeit von zehn Stunden/Woche auf die Wochentage Montag bis Freitag (= zwei Stunden/Tag als Basis eines für den Arbeitnehmer geführten Arbeitszeitkontos) jährlich ein Arbeitstag aus der Soll-Arbeitszeit „herausgenommen“ wird. So könnte z. B. jeweils der erste Arbeitstag eines Kalenderjahrs mit „null“ Soll-Arbeitszeit ausgewiesen werden. Für den Rest des Jahres würde dann ganz normal für jeden Wochentag Montag bis Freitag rechnerisch zwei Stunden/Tag hinterlegt.
Wird die Arbeitszeit rechnerisch auf weniger als fünf Arbeitstage verteilt, dann müsste die Arbeitszeit an einem Arbeitstag (z. B. wiederum der erste planmäßige Arbeitstag des Kalenderjahrs) entsprechend gekürzt werden.
Wichtig | Stets ist darauf zu achten, dass in Schaltjahren eine höhere Kürzung erforderlich ist als in normalen Jahren mit 365 Kalendertagen.
AUSGABE: LGP 3/2023, S. 72 · ID: 48800054