Wegfall der GeschäftsgrundlageGrundstücksübertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung
| Häufig werden Immobilien unter Geschwistern übertragen mit einer entsprechenden Pflegevereinbarung. Der BGH hat jetzt entschieden, dass die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags ist. Wenn das Verhältnis zerrüttet ist, kann der Vertrag nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückabgewickelt werden oder er ist anzupassen. |
Sachverhalt
2013 übertrug der 1944 geborene Kläger B, der zuvor einen Herzinfarkt erlitten hatte, sein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf die Beklagte, seine Schwester S. Als Gegenleistung bestellte diese dem B ein Wohnrecht an bestimmten Räumen des Hauses und verpflichtete sich, ihn lebenslang zu betreuen und zu pflegen. Die S wurde als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen und bezog das Haus zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten zwischen den Parteien. Im März 2014 erklärte der B den Rücktritt von dem Vertrag, weil die S von ihm Miete verlange und ihn bedrängt und genötigt habe. Der B nimmt die S auf Rückübertragung des Grundstücks in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung war erfolglos, im Gegensatz zur Revision.
Leitsatz: BGH 9.7.21, V ZR 30/20 | 
Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten (Abruf-Nr. 224839).  | 
Entscheidungsgründe
Sofern der zu Pflegende sein Rückübertragungsverlangen darauf stützt, es sei ihm aufgrund eines heillosen Zerwürfnisses nicht länger zumutbar, Pflegeleistungen des Pflegenden anzunehmen, richtet sich dies nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (WGG) gem. § 313 Abs. 3 BGB. Nur bei einer Nicht- oder Schlechtleistung, die vorliegend nicht geltend gemacht wird, richtet sich der Anspruch nach § 323 Abs. 1 BGB.
Der Anspruch auf Rückübertragung wegen WGG des Grundstücksübertragungsvertrags mit Pflegeverpflichtung kommt nicht nur in Betracht, wenn dies unabweisbar erscheint, um „untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarere Folgen zu vermeiden“ (vgl. BGH 11.4.00, X ZR 246/98, juris Rn. 33 noch zum alten Schuldrecht). § 313 Abs. 3 BGB sieht bei WGG die Rechtsfolge, den Vertrag aufzulösen, auch vor, wenn eine Anpassung nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, § 313 Abs. 3 BGB. Sie ist nicht auf „Extremfälle“ beschränkt. Der Vertrag ist durch Rücktritt oder Kündigung aufzulösen, je nachdem, ob das Schuldverhältnis rückwirkend oder – wie etwa ein Dauerschuldverhältnis – nur für die Zukunft beseitigt werden kann.
Der BGH hat folgende wichtige Hinweise für das weitere Verfahren erteilt, die das OLG weiter aufklären muss:
- Bei dem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter den Geschwistern B und S ist zu prüfen, ob das Verhältnis zwischen diesen so zerrüttet ist, dass die Geschäftsgrundlage des Vertrags entfallen ist.
 - Unerheblich ist, welche Vertragspartei welchen Anteil an dem Zerwürfnis trägt. I. d. R. tragen beide Vertragsparteien ihren Anteil daran.
 - Eine Ausnahme, die der Übernehmende beweisen muss, liegt vor, wenn die Zerrüttung dem Übertragenden eindeutig anzulasten ist. Dafür reicht es nicht aus, dass dieser überhaupt zu dem Zerwürfnis beigetragen hat oder dass dieses ihm in stärkerem Maße zurechenbar ist als dem Übernehmenden. Weil typischerweise beide Vertragsparteien mit ihrem Verhalten dazu beitragen, dass das Verhältnis zerrüttet, und ein eindeutiger Schwerpunkt der Verursachung hierfür auch durch eine Beweisaufnahme regelmäßig nicht bestimmt werden kann, ist es dem Übertragenden nur zumutbar, trotz der Zerrüttung am Vertrag festzuhalten, wenn feststeht, dass ihm diese ausnahmsweise allein anzulasten ist.
 
Im Hinblick auf die Rechtsfolge gilt: Vorrangig ist der Vertrag anzupassen. Dies kann bei Übertragungsverträgen mit Pflegepflicht dadurch erfolgen, dass der Übernehmende Geld zahlt anstelle der Sach- und Dienstleistungen. Möglich ist eine Rentenzahlung, wenn sie gesichert ist, oder in Form eines Kapitalbetrags, was die Zahlung eines „nachträglichen Kaufpreises“ bedeuten würde.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nur die Auflösung des Vertrags in Betracht kommt, weil die vorrangige Anpassung nicht möglich ist, trägt der Übergeber (vgl. BeckOGK/Martens, BGB [1.4.21], § 313 Rn. 162). Wenn diese Anpassung nicht möglich ist, kann der Übertragende die Rückübertragung des zugewendeten Eigentums an dem Hausgrundstück von dem Übernehmenden verlangen, § 313 Abs. 3 BGB. Da ein Übertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung Elemente eines Dauerschuldverhältnisses enthält (§ 313 Abs. 3 S. 2 BGB), wird der Vertrag mit Wirkung ex nunc aufgelöst. Der Übertragsnehmer muss das Grundstück zurückübertragen, ist aber von der Pflegepflicht befreit (vgl. BGH 23.9.94, V ZR 113/93). Es entsteht kein Rückgewährschuldverhältnis nach § 346, § 313 Abs. 3 S. 1 BGB.
Relevanz für die Praxis
Diese Entscheidung ist für die Praxis äußerst wichtig. Der BGH hat klargestellt, dass eine Zerrüttung des Verhältnisses zu einer Anpassung des Vertrags oder zur Kündigung führt.
Bei einer Anpassung des Übertragungsvertrags durch eine Geldzahlung gilt Folgendes (BGH 1.2.02, V ZR 61/01, NJW-RR 02, 853):
Wenn der Übernehmende den Betrag aufbringen muss, der es dem Übertragenden erlaubt, die vom Übernehmenden geschuldeten Pflegeleistungen entgeltlich von einem Dritten vornehmen zu lassen, werden die wirtschaftlichen Folgen der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vollständig auf den Übernehmenden verlagert. Dass er diese Verpflichtung eingegangen wäre, kann nicht angenommen werden. Wird die Höhe der Zahlungsverpflichtung dagegen allein nach der Ersparnis bemessen, die mit dem Wegfall der Pflegepflicht des Übertragenden für den Übernehmenden verbunden ist, treffen die wirtschaftlichen Folgen der Änderung der Verhältnisse im Wesentlichen den Übertragenden, weil die Ersparnis des Übernehmenden i. d. R. nicht annähernd ausreicht, um einen Dritten zu bezahlen. Die Leistungspflicht des Pflegebedürftigen ist mit der Übertragung des Grundstückseigentums jedoch vollständig erfüllt. Er hat alles getan, seine Pflege und Betreuung lebenslänglich sicherzustellen.
Es ist nach dem BGH (a. a. O.) aufzuklären, welchen Betrag der Übernehmende dadurch spart, dass er den Übertragenden nicht mehr pflegen muss. Soweit dieser Betrag die Kosten nicht deckt, die dem Übertragenden für eine Ersatzkraft entstehen, ist die Differenz zwischen den Parteien zu teilen.
Für die Praxis problematisch sind die Ausführungen des BGH, dass nur ausnahmsweise mit der Darlegungs- und Beweislast beim Übertragsnehmer ein Anspruch des Übertragenden bei einer Zerrüttung ausscheidet. Denn gerade bei älter werdenden Menschen steht der Wunsch nach Selbstständigkeit dem Schutz des Übertragenden und der Allgemeinheit gegenüber. Als Beispiele seien nur Konflikte im Zusammenhang mit der Rückgabe der Fahrerlaubnis genannt, oder das Abklemmen des Herdes vom Strom, um einen Brand durch das Vergessen der Herdplatte zu vermeiden. Auslöser solcher Konflikte ist der Schutz des Übergangenden. Da gerade bei nachlassenden Fähigkeiten viele Menschen mit dem Bestreben, die Fassade zu halten, reagieren und teilweise aggressiv werden, um die Fassade zu halten bzw. Risse in dieser zu verdecken, sind diese Konflikte für den pflegenden Übertragsnehmer schwer auszuhalten. Dass in diesen Fällen bewiesen werden kann, dass die Zerrüttung dem Übertragenden eindeutig anzulasten ist, ist schwierig. Ein überwiegendes Verschulden reicht nach dem BGH aber nicht aus.
Für die Gestaltungspraxis ist möglich, entsprechende Vorsorge zu treffen. Üblich sind in solchen Übertragsvereinbarungen bestimmte Rücktrittsgründe. In diesem Zusammenhang können auch Vereinbarungen getroffen werden für den Fall, dass eine Zerrüttung der Parteien eintritt, ohne dass dies eindeutig auf den Übertragenden zurückzuführen ist. Denn bei einer Regelung des Risikos durch den Vertrag, kommt ein Anspruch nach den Grundsätzen des WGG nicht in Betracht.
AUSGABE: FK 12/2021, S. 203 · ID: 47728175