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Gesonderte und einheitliche Feststellung von EinkünftenRückstellung im Vorruhestandsmodell nebst Abzugsfähigkeit bei Notentwässerung
. 242685
| In einem aktuellen Fall der Finanzrechtsprechung (vgl. FG Düsseldorf 24.5.24, 3 K 2044/18 F, Abruf-Nr. 242685) stritten die Beteiligten darüber, ob es sich bei den Aufwendungen für die Errichtung einer Notentwässerungsanlage um Erhaltungsaufwand oder um Herstellungskosten handelt, und zum anderen, ob in Zusammenhang mit einem Vorruhestandsmodell Rückstellungen zu bilden waren sowie – falls ja – wie die Rückstellungsbeträge zu ermitteln sind. |
Inhaltsverzeichnis
1. Sachverhalt
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin war der An- und Verkauf von Waren jeglicher Art. Betreffend die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2012 führte das FA bei der Klägerin eine Außenprüfung durch. Der Außenprüfer behandelte Aufwendungen für ein Notentwässerungssystem als Herstellungskosten und berücksichtigte lediglich Absetzungen für Abnutzung pro Jahr als Betriebsausgaben. Begründet wurde die Umqualifizierung der Aufwendungen damit, dass eine zu Herstellungskosten führende Funktionserweiterung vorliege.
Überdies erkannte der Außenprüfer etwaige Rückstellungen nur für die Arbeitnehmer an, mit denen zum jeweiligen Bilanzstichtag eine gesonderte Freistellungsvereinbarung bereits getroffen worden war (sog. „Echtfälle“). Im Übrigen wurden die gebildeten Rückstellungen aufgelöst.
2. Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet (FG Düsseldorf 24.5.24, 3 K 2044/18 F).
2.1 Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeit dem Grunde nach
Die Klägerin war dem Grunde nach berechtigt, etwaige Rückstellungen zu bilden.
Die Klägerin hatte sich durch die Anstellungsverträge vertraglich verpflichtet, dem jeweiligen Arbeitnehmer auf dessen Wunsch eine dreijährige Freistellung von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung von 70 % des Gehalts zu gewähren. Dass der konkrete Beginn der Freistellung nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Klausel den Abschluss eines weiteren Vertrags – nämlich „eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Mitarbeiter entsprechend einem betriebsüblichen Vereinbarungstext in der jeweils gültigen Fassung“ – voraussetzte, ist unerheblich. Denn die Klägerin hatte bzw. hat weder die Möglichkeit, sich von ihrer im Anstellungsvertrag verbindlich gegebenen Zusage einseitig zu lösen (indem sie z. B. den Abschluss der zusätzlichen Vereinbarung verweigert), noch hatte bzw. hat die Klägerin die Möglichkeit, den Inhalt ihrer Zusage nachträglich maßgeblich zu verändern.
2.2 Erfüllungsrückstand ab Zeitpunkt der Leistungszusage
Bei der Berechnung der Rückstellungen ist hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem sich die jeweiligen Rückstellungsbeträge aufbauen, auf die Leistungszusage abzustellen.
Mit dem Erfordernis, dass eine Rückstellung für dem Grunde nach noch nicht entstandene Verbindlichkeiten überhaupt nur dann gebildet werden darf, wenn die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in der davorliegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist, wäre es nicht vereinbar, wenn bei der Berechnung der Rückstellung auch Zeiträume einbezogen würden, in denen mangels Existenz der Leistungszusage noch gar kein Erfüllungsrückstand bestand und in denen infolgedessen auch noch gar keine Rückstellungen hätten gebildet werden dürfen.
Ein Erfüllungsrückstand liegt insoweit nur vor, wenn jemand – hier der Arbeitgeber – weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner – hier dem Arbeitnehmer – erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte. Vor der erstmaligen Zusage der Altersfreistellung hielten sich die Arbeitsleistung und die Vergütungspflicht des Arbeitgebers jedoch die Waage. Der Arbeitnehmer schuldete dem Arbeitgeber (nur) seine Arbeitskraft und hatte dafür (nur) Anspruch auf den vertraglich vereinbarten Arbeitslohn. Zwar mag sich der Arbeitnehmer bewusst oder unbewusst auch „betriebstreu“ verhalten haben. Der rein faktische Umstand, dass das Arbeitsverhältnis mangels Kündigung weiter fortbestand, stellte ohne entsprechende arbeitsvertragliche Regelung jedoch keine durch den Arbeitgeber zu vergütende Leistung dar, weshalb der Arbeitnehmer insoweit auch nicht in Vorleistung treten konnte. Erst mit der Zusage der Altersfreistellung wurde der Anreiz für den Arbeitnehmer geschaffen, sich in der Zukunft (weiterhin) betriebstreu zu verhalten, um letztlich in den Genuss der Freistellung zu gelangen. Ebenso ist erst mit der Zusage der Altersfreistellung die Verpflichtung des Arbeitgebers entstanden, den Arbeitnehmer in der künftigen Freistellungsphase auch ohne Arbeitsleistung zu entlohnen.
Folglich konnte sich auch erst beginnend mit dem Zeitpunkt der Leistungszusage ein Erfüllungsrückstand aufbauen, weshalb frühestens zum Ende des Wirtschaftsjahrs, in dem die Leistungszusage erfolgt ist, eine Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB gebildet werden durfte.
Praxistipp | Ein Erfüllungsrückstand steht bei Verträgen mit mehreren Leistungselementen in einer Wechselbeziehung zur Gewinnrealisierung. Hat der Steuerpflichtige daher im Wesentlichen seine Leistung erbracht, hindern ausstehende unwesentliche Leistungselemente die umfassende Gewinnrealisierung nicht. In Ansehung der zum Bilanzstichtag noch ausstehenden Leistungsverpflichtung befindet sich der Steuerpflichtige somit dann regelmäßig in einem Erfüllungsrückstand und für den damit verbundenen Aufwand ist im Einzelfall eine Rückstellung zu bilden (gl.A. Brandis/Heuermann, EStG, § 5, Rn. 763c). |
2.3 Errichtung einer Notentwässerungsanlage führt zu Sofortaufwand
Bei den Aufwendungen für die Errichtung der Notentwässerungsanlage handelt es sich nicht um Herstellungskosten, sondern um sofort abzugsfähige Betriebsausgaben.
Zu dem sofort als Betriebsausgaben i. S. d. § 4 Abs. 4 EStG zu berücksichtigenden Erhaltungsaufwand gehören i. d. R. die Aufwendungen für die laufende Instandhaltung und Instandsetzung eines Gebäudes. Dagegen liegen zu aktivierende Herstellungskosten i. S. d. § 255 Abs. 2 S. 1 HGB vor, wenn durch die Baumaßnahmen das Gebäude wesentlich in seiner Substanz vermehrt, in seinem Wesen verändert oder – von der üblichen Modernisierung abgesehen – über seinen bisherigen Zustand hinaus deutlich verbessert wird (BFH 22.8.66, GrS 2/66, BStBl III 1966, 672; BFH 19.7.85, III R 170/80, BFH/NV 1986, 24).
Aufwendungen für die Erneuerung von bereits in den Herstellungskosten des Gebäudes enthaltenen Teilen, Einrichtungen und Anlagen sind hingegen nur in Ausnahmefällen wiederum Herstellungskosten des Gebäudes, wenn nämlich die Teile so artverschieden sind, dass der Zweck, das Gebäude in seiner bestimmungsmäßigen Gebrauchs- und Verwendungsmöglichkeit zu erhalten, zurücktritt hinter dem Zweck, etwas Neues, bisher nicht Vorhandenes, zu schaffen (BFH 19.7.85, III R 170/80, BFH/NV 1986, 24). Ob eine neue Anlage für sich allein betrachtet dieselbe Beschaffenheit aufweist und technisch ebenso funktioniert wie der erneuerte Teil, ist für die steuerrechtliche Beurteilung der aufgewendeten Kosten nicht maßgebend, solange die neue Anlage die bisherige Funktion für das einheitliche Gebäude in vergleichbarer Weise erfüllt (BFH 24.7.79, VIII R 162/78, BStBl II 80, 7).
Der Einbau der streitgegenständlichen Notentwässerungsanlage geht hierbei entgegen der Auffassung des Beklagten nicht über eine Modernisierung hinaus. Das Wesen der Modernisierung besteht vielmehr darin, einem Gebäude den zeitgemäßen Standard wiederzugeben, den es ursprünglich besessen, durch den technischen Fortschritt und die Veränderung der Lebensgewohnheiten/Umweltanforderungen jedoch verloren hatte. Diese reichte aus, um die Standsicherheit nach damaligen Anforderungen – insbesondere entsprechend den früher üblichen Regenmengen – zu sichern.
Fazit | Das FG Düsseldorf (3 K 2044/18 F) bestätigt mit seinem Urteil, dass die Klägerin im Streitfall dem Grunde nach berechtigt war, bezüglich der Arbeitnehmer, denen sie eine Freistellung von der Arbeitsleistung gegen Zahlung von 70 % des Gehalts in Aussicht gestellt hat, für die auf künftige Freistellungsphasen mutmaßlich entfallenden Lohnzahlungsverpflichtungen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die Höhe der Rückstellungen ist im Streitfall dergestalt zu bestimmen, dass sich die jeweiligen Rückstellungsbeträge für die betroffenen Arbeitnehmer beginnend mit dem Zeitpunkt der zivilrechtlichen Entstehung des Anspruchs auf spätere Freistellung bis zum planmäßigen Beginn der Freistellung in zeitanteilig gleichen Raten aufbauen. Überdies hat das FG Düsseldorf festgestellt, dass die Aufwendungen für die Errichtung einer sog. Notentwässerungsanlage im Streitzeitraum sofort als Betriebsausgabe abzugsfähig sind. |
AUSGABE: BBP 8/2024, S. 205 · ID: 50095533