Logo IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft
Login
FeedbackAbschluss-Umfrage

Einstweiliges VerfügungsverfahrenSexuelle Belästigung im öffentlichen Dienst und ihre Folgen

Abo-Inhalt26.10.20229674 Min. Lesedauer

| Ist bei einem behördlichen Ermittlungsverfahren eine Zeugin zu vernehmen, die nach den gegen einen Beamten erhobenen Vorwürfen Opfer dieses Beamten geworden sein soll, droht eine „Wahrheitsgefährdung“. Diese rechtfertigt dessen Ausschluss von der Teilnahme an der Vernehmung. |

Sachverhalt

Die auf § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 BBG gestützte Entlassungsverfügung sei formell und materiell offensichtlich rechtmäßig. Insofern ging das OVG davon aus, dass der Antragsteller seine Kollegin, die Zollobersekretärin (im Folgenden: ZOSin) T., sexuell nicht nur verbal, sondern auch handgreiflich belästigt und zudem seine Kollegin M. mehrfach verbal sexuell belästigt habe, ohne dass er in jedem Fall von dem Einverständnis der Kolleginnen habe ausgehen können. Der Ermittlungsführer habe das Geschehen sehr umfassend aufgeklärt und dabei auch die Einwände des Antragstellers ausführlich einbezogen, gewürdigt und widerlegt. Das Verhalten des Antragstellers erfülle bei summarischer Prüfung mindestens den Straftatbestand der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB) und stelle ein Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 und 2 BBG in der Form eines vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Verstoßes gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gemäß § 61 Abs. 1 S. 3 BBG dar.

Hiergegen wandte der Antragsteller ein, die Ermittlungen der Antragsgegnerin im Disziplinar- und Entlassungsverfahren seien unzureichend gewesen. Das Geschehen sei nicht ausreichend aufgeklärt worden. Bei der Bewertung der Aussagen der Zeuginnen sei zu berücksichtigen, dass die Zeuginnen hierbei nicht mit ihm konfrontiert gewesen seien, weil man dies bewusst und rechtswidrig verhindert habe. Auch das (freundschaftliche) Verhältnis, das zwischen ihm und den beiden Zeuginnen bestanden habe, sei weder zur Sprache gekommen noch bei der Beweiswürdigung berücksichtigt worden.

Das OVG NRW (4.3.22, 1 B 174/22, Abruf-Nr. 231851) wies die Beschwerde zurück. Zwar treffe zu, dass der Ermittlungsführer die Teilnahme an der Zeugenvernehmung ausgeschlossen habe. Diese Verfahrenshandlung finde aber in der gemäß § 34 Abs. 3 S. 2 BBG entsprechend anzuwendenden Regelung des § 24 Abs. 4 S. 2 BDG eine hinreichende Stütze. Nach dieser Vorschrift könne der Beamte von der Teilnahme an der Vernehmung (u. a.) von Zeugen ausgeschlossen werden, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter, erforderlich ist.

Entscheidungsgründe

Sei die als Zeuge zu vernehmende Person nach den gegenüber dem Beamten erhobenen Vorwürfen Opfer eines Verhaltens des Beamten geworden, so sei zu befürchten, dass sie in Anwesenheit des Beamten eingeschüchtert sei und nicht unbefangen oder nicht wahrheitsgemäß aussage. In einer solchen Situation einer drohenden „Wahrheitsgefährdung“ könne es daher zur Sicherung eines zutreffenden Ermittlungsergebnisses und, gerade wenn es um sexuelle Verfehlungen gehe, erforderlich sein, den Beamten von einer Teilnahme an der Vernehmung auszuschließen.

Die Zeugin ZOSin T. habe bereits bei dem Personalgespräch vom 1.7.20 gezögert, zu dem im Raum stehenden Vorwurf, der Antragsteller habe sie am 19.3.20 sexuell belästigt, überhaupt auszusagen. Sie habe dabei auch auf die erhebliche seelische und körperliche Belastung hingewiesen, die eine Aussage ihr abnötige.

Auch sei hier eine fristlose Entlassung des Beamten nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 BBG gerechtfertigt. Der Senat sei überzeugt, dass die Darstellung des Antragstellers, er habe ZOSin T. im gegenseitigen, sich aus dem Kontext klar ergebenden Einvernehmen nur einmal geküsst und an der Hüfte angefasst, ebenso wenig der Wahrheit entspreche wie seine übrigen Behauptungen, mit denen er seine Kollegin als Ursache der sexuellen Aufladung des Geschehens am 19.3.20 darstellen und diskreditieren wolle. Das ergebe sich allein schon aus dem dokumentierten Inhalt des zwischen dem Antragsteller und ZOSin T. über „WhatsApp“ zwischen dem 19.3.20 und 6.5.20 geführten Chats, zu dem sich der Antragsteller während des gesamten behördlichen und gerichtlichen Verfahrens nicht geäußert habe und der – was die Äußerungen des Antragstellers angeht – einem Geständnis gleichkomme.

Bereits diese Äußerungen belegen, dass deutlich mehr und gänzlich anderes vorgefallen sein muss als nur ein angeblich einvernehmlicher Kuss, da der Antragsteller ein von ihm gezeigtes Verhalten mit einem „Weg-Sein“ für ein „paar Minuten“ zu entschuldigen versuche. Zudem gebe er das Versprechen ab, dass nicht mehr vorkommen solle, was passiert sei. Er appelliere dringend, das „alles“, was passiert sei, vergessen sein solle.

Es dränge sich ferner die Annahme auf, dass der Antragsteller auch ZOSin M., mit der er auch nach deren Angaben freundschaftlich verbunden war, verbal sexuell belästigt habe, indem er die gemeinsamen Gespräche zu sexualisieren versucht und Annäherungsversuche unternommen habe, um an außerehelichen Sex zu kommen. Dies werde durch den Inhalt der in den Akten dokumentierten Chat-Dialoge belegt. Der Antragsteller habe diese Kollegin wohl nur scheinbar zum Spaß am 11.2.20 per „WhatsApp“ gefragt, ob sie „Bock“ habe; „hier hinten aufm Parkplatz“ werde „keiner was erfahren“.

Relevanz für die Praxis

Im summarischen einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht darf und muss das Gericht bei schwerwiegenden Disziplinarmaßnahmen gegen einen Beamten die Ergebnisse des zuvor durchgeführten behördlichen Ermittlungsverfahrens in seine Entscheidung einbeziehen. Bei diesem darf der Beamte selbst, gerade wenn es um den Vorwurf verbaler und physischer sexueller Belästigung geht, rechtmäßig von der Teilnahme an der Zeugenvernehmung des Opfers ausgeschlossen werden, hingegen ohne Weiteres nicht seine anwaltliche Parteivertretung.

AUSGABE: AA 11/2022, S. 185 · ID: 48663748

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2022

Bildrechte