Grenzüberschreitende VerlustverrechnungVerluste ausländischer Betriebsstätten im Lichte der Gesetzgebung und aktuellen Rechtsprechung
| Der BFH hat aktuell entschieden, dass inländische Unternehmen Verluste aus einer im EU-Ausland belegenen Niederlassung nicht steuermindernd mit im Inland erzielten Gewinnen verrechnen können, wenn nach dem einschlägigen DBA für die ausländischen Einkünfte kein deutsches Besteuerungsrecht besteht. Das gilt auch dann, wenn die Verluste im Ausland steuerrechtlich unter keinen Umständen verwertbar und damit „final“ sind. Dies verstößt nicht gegen EU-Recht (BFH 22.2.23, I R 35/22). |
1. (Laufende) Verluste einer ausländischen Betriebsstätte
Die steuerliche Behandlung von Betriebsstätten wirft auf verschiedenen Ebenen Fragen auf. Neben Fragen der Gewinnaufteilung ist aus nationaler Sicht insbesondere die steuerliche Behandlung von laufenden und „finalen“ Verlusten von besonderer Bedeutung, da sich insoweit Anreize für Gestaltungen ergeben können. Ob und unter welchen Voraussetzungen im Inland unbeschränkt Steuerpflichtige Verluste einer ausländischen Betriebsstätte steuerlich geltend machen können, hängt primär davon ab, ob mit dem Staat, in dem die Betriebsstätte liegt, ein DBA besteht, ob es sich um einen Drittstaat handelt und die Betriebsstätte eine aktive oder passive Tätigkeit ausübt.
- Besteht zwischen Deutschland und dem Belegenheitsstaat der Betriebsstätte kein DBA, richtet sich die steuerliche Erfassung zunächst nach § 2a Abs. 1 EStG. Negative Einkünfte aus einer in einem Drittstaat gelegenen gewerblichen Betriebsstätte dürfen grundsätzlich nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art und aus demselben Staat ausgeglichen werden. Dies gilt nicht, wenn es sich bei den negativen Einkünften „ausschließlich oder fast ausschließlich“ um Verluste aus einer aktiven Tätigkeit handelt. Liegen solche Verluste aus aktiver Tätigkeit der Betriebsstätte vor, sind die Verluste voll ausgleichsfähig und können nach § 10d EStG abgezogen werden. Für negative Einkünfte aus Staaten, die keine Drittstaaten sind und zu denen kein DBA besteht, also insbesondere die Staaten der EU und des EWR, gibt es keine Beschränkungen.Kein DBA: Verluste aus aktiver Tätigkeit im Drittstaat oder in der EU/dem EWR?
- Sofern zwischen Deutschland und dem Belegenheitsstaat der Betriebsstätte ein DBA besteht, wird nach der deutschen Einkommenspraxis regelmäßig die Freistellung entsprechender Einkünfte der Betriebsstätte angeordnet. In diesem Fall sind diese Einkünfte nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung in Deutschland von der Steuer freizustellen, unterliegen aber gemäß § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt. Dies gilt grundsätzlich sowohl für positive als auch für negative Einkünfte (negativer Progressionsvorbehalt), sofern kein Fall von § 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EStG vorliegt. Danach greift der Progressionsvorbehalt nicht, wenn es sichDBA: Freistellung unter positivem und negativem Progressionsvorbehalt ...
- um Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte handelt, die... Ausnahme: passive EU-/EWR-Betriebsstäte
- nicht in einem Drittstaat belegen ist und
- nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 S. 1 EStG erfüllt (insbesondere passive EU-/EWR-Betriebsstätte).
Beachten Sie | Bei Verlusten aus Betriebsstätten in Drittstaaten ist vorrangig § 2a EStG zu prüfen. Liegt demnach ein DBA-Fall mit Freistellung vor, ist vor dem Hintergrund des § 2a Abs. 2 S. 1 EStG zu prüfen, ob es sich bei der Betriebsstätte in einem Drittland um eine aktive oder passive Betriebsstätte handelt. Liegt eine passive Betriebsstätte vor, ist der negative Progressionsvorbehalt wegen des Vorrangs von § 2a Abs. 1, 2 S. 1 EStG ausgeschlossen. Auf den positiven Progressionsvorbehalt hat § 2a EStG keinen Einfluss.
Übersicht / | ||
Bei unbeschränkter Steuerpflicht | Kein DBA | DBA mit Freistellung |
Positive Einkünfte | Gewinne werden nach dem Welteinkommensprinzip voll besteuert (Drittstaat und EU/EWR) | § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG Drittstaat und EU/EWR = Freistellung, aber positiver Progressionsvorbehalt Ausnahme: passive EU-/EWR-Betriebsstätte nach § 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 = kein positiver Progressionsvorbehalt |
Negative Einkünfte | § 2a Abs. 1 EStG: Negative Einkünfte aus einer Drittstaaten-Betriebsstätte sind nur mit positiven Einkünften […] aus demselben Staat ausgleichsfähig Ausnahme: Aktive Betriebsstätte (§ 2a Abs. 2 EStG) = § 10d EStG Keine Einschränkungen bei EU-/EWR-Betriebsstätten | § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG Drittstaat und EU/EWR = Freistellung, aber grds. negativer Progressionsvorbehalt Ausnahme: passive EU-/EWR-Betriebsstätte nach § 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 = kein negativer Progressionsvorbehalt Vorsicht: Bei Verlusten von Betriebsstätten im Drittstaat greift § 2a EStG vorrangig = kein negativer Progressionsvorbehalt bei passiver Betriebsstätte |
Der negative Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 EStG ist demnach bei einer nicht in einem Drittstaat belegenen aktiven Betriebsstätte i. S. d. § 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EStG i. V. m. § 2a Abs. 2 EStG anwendbar.
2. Finale Verluste einer ausländischen Betriebsstätte
Fraglich und in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist die Frage, wie – unter Berücksichtigung dieser nationalen Rahmenbedingungen – „finale“ Betriebsstättenverluste einer EU-/EWR-Betriebsstätte im Inland steuerlich zu behandeln sind. Nach der deutschen Abkommenspraxis wird in DBA nicht zwischen Verlusten und sog. „finalen“ Verlusten differenziert.
Von finalen Verlusten wird gesprochen, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass die Verluste im Quellenstaat steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (EuGH 13.12.05, C-446/03, „Marks & Spencer plc“, PIStB 06, 4). Der EuGH hat in dieser Entscheidung zwischen Verlusten und finalen Verlusten differenziert. Nachdem sich der EuGH im Nachgang zu dieser Entscheidung mehrfach zu Fragen der Berücksichtigung finaler Verluste im Hinblick auf EU-Grundfreiheiten geäußert hat, hat sich der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zuletzt mit seiner Entscheidung vom 22.9.22 (C-538/20, „W AG“) erneut mit dieser Frage beschäftigt. Danach verstößt die Versagung der Abzugsfähigkeit „finaler“ ausländischer Betriebsstättenverluste aufgrund einer DBA-Freistellung nicht gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Da Deutschland nicht unilateral, sondern aufgrund des DBA auf sein Besteuerungsrecht verzichtet habe (zum unilateralen Verzicht auf das Besteuerungsrecht s. EuGH 12.6.18, C-650/16, Rs. Bevola & Trock, PIStB 18, 209), befinde sich eine in Deutschland ansässige Gesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte nicht in einer vergleichbaren Situation wie eine entsprechende gebietsansässige Gesellschaft mit einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte. Nach dieser Entscheidung des EuGH hat der BFH nun entschieden.
3. Neue BFH-Entscheidung I R 35/22: Nichtberücksichtigung finaler Verluste einer ausländischen Betriebsstätte
3.1 Sachverhalt
Eine in Deutschland ansässige Bank-AG hat im Jahr 2004 in Großbritannien eine Zweigniederlassung eröffnet. Nachdem die Zweigniederlassung jedoch durchgehend nur Verluste erwirtschaftet hatte, wurde sie im Jahr 2007 wieder geschlossen. Da die Filiale niemals Gewinne erzielt hatte, konnte die Bank-AG die in Großbritannien erlittenen Verluste dort steuerlich nicht nutzen. Fraglich war, ob die Verluste der britischen Zweigniederlassung (Betriebsstätte) die Bemessungsgrundlage für die Körperschaft- und Gewerbesteuer der in Deutschland ansässigen Bank-AG mindern.
Nach dem zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland geltenden DBA waren die Verluste von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ausgenommen. Deutschland hatte aber nach dem DBA das Recht, von der Besteuerung ausgenommene Einkünfte bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen. Dass im DBA lediglich gewerbliche Gewinne, also positive Einkünfte, genannt werden, ist unproblematisch, da es der ständigen Rechtsprechung entspricht, dass Verluste ebenfalls aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind (sog. Symmetriethese). Insoweit war der Sachverhalt unstreitig.
3.2 Anmerkungen
Der BFH sieht in dem Ausschluss der Verlustberücksichtigung bei der Körperschaft- und der Gewerbesteuer in Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung keinen Verstoß gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit. Zur Begründung verweist der BFH auf die Rechtsprechung des EuGH. Danach stehen Art. 49 und 54 AUEV einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen,
- nach der eine dort gebietsansässige Gesellschaft
- die endgültigen (finalen) Verluste
- ihrer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte
- von ihrem steuerpflichtigen Gewinn nicht abziehen kann,
- wenn der Ansässigkeitsmitgliedstaat aufgrund eines DBA auf seine Befugnis zur Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte verzichtet hat.
Nach Auffassung des EuGH fehlt es im Fall der Freistellung der ausländischen Einkünfte aufgrund eines DBA schon an einer Vergleichbarkeit mit reinen Inlandsfällen. Steht einem Staat aufgrund eines DBA demnach schon in Anwendung der Symmetriethese kein Besteuerungsrecht für Betriebsstättenverluste zu, ist dies aus Sicht der Rechtsprechung eine mit reinen Inlandsfällen nicht vergleichbare Situation. Es ist demnach zu unterscheiden, ob der „symmetrische“ Ausschluss auf einer unilateralen (siehe Bevola und Jens W. Trock) oder bilateralen Vereinbarung beruht. Da die Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall auf einer bilateralen Regelung basiert (ebenso EuGH 17.12.15, C-388/14, Timac Agro Deutschland), bestehen somit keine europarechtliche Bedenken. Der EuGH hat damit aus Sicht des BFH die Gründe aus dem Urteil Timac Agro bestätigt.
4. Relevanz für die Praxis
Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 22.9.22 (C-538/20) im Ergebnis die Aufgabe der früheren Rechtsprechung bestätigt und versucht, Ordnung in die bisweilen etwas unübersichtliche Rechtsprechung zu bringen. Wesentlich kommt es demnach darauf an, ob ein Staat aufgrund einer
- bilateralen Vereinbarung (DBA) oder
- unilateralen Regelung
auf seine Befugnis zur Besteuerung der Betriebsstättenergebnisse verzichtet hat (EuGH 22.9.22, C-538/20, Rn. 25). Für Abkommensfälle gilt demnach, dass der Ansässigkeitsstaat nicht zum „Import“ von Verlusten ausländischer Betriebsstätten verpflichtet ist, und zwar unabhängig davon, ob die Verluste final sind oder nicht (Ismer, DStR 22, 1996 f.).
Klargestellt hat der BFH nunmehr auch, dass es sich bei dem Ausschluss des Verlustabzugs nicht um einen Fall von § 9 Nr. 3 GewStG handelt, da der Verlust schon auf Ebene der einkommen- bzw. körperschaftsteuerlichen Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen ist (§ 7 S. 1 GewStG)
Fazit | Der EuGH hat mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2022 die bestehenden Unklarheiten im Hinblick auf die Behandlung finaler Betriebsstättenverluste konkretisiert. Im Hinblick auf eine Vereinbarkeit mit den EU-Grundfreiheiten ist zu unterscheiden, ob bereits auf Ebene der DBA (bilateral) oder nur im nationalen Recht (unilaterale) Regelungen einen finalen Verlustabzug ausschließen oder im Vergleich zu reinen Inlandsfällen anders behandeln. Für den Fall, dass schon auf Ebene des DBA eine solche Regelung getroffen wird, hat der EuGH keine Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den EU-Grundfreiheiten. Diese Ansicht hat auch der BFH in seiner aktuellen Entscheidung übernommen. Die Erfolgsaussichten etwaiger Rechtsbehelfe bei finalen Betriebsstättenverlusten im Outbound-Fall sind damit wohl drastisch gesunken. Aufgrund der sich wandelnden Abkommenspraxis ist es indes nur eine Frage der Zeit, bis der EuGH erneut über vergleichbare Einzelfälle zu entscheiden hat. Es wäre wünschenswert, wenn der EuGH die nunmehr im Hinblick auf die Behandlung finaler Betriebsstättenverluste erkennbare Linie beibehält. |
Zum Autor | Der Autor ist Dozent an der Hochschule für Finanzen NRW. Dieser Beitrag wurde vom Autor nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst, sondern gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.
AUSGABE: PIStB 8/2023, S. 206 · ID: 49536399