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CBChefärzteBrief

Interview„Der Fachkräftemangel ist der relevanteste Hebel, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen!“

Abo-Inhalt15.10.2021514 Min. Lesedauer

| Der neue Deutsche Bundestag konstituiert sich Ende Oktober 2021. Unter den Abgeordneten sind 15 Ärztinnen und Ärzte, darunter Prominente wie der Epidemiologe Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD). Auch der Anästhesist Prof. Dr. Helge Braun (CDU), der derzeit noch als Kanzleramtsminister im Kabinett sitzt, hat viel Politikerfahrung. Unter den neu in den Bundestag eingezogen MdBs ist Dr. Paula Louise Piechotta (Grüne), die in Sachsen als Spitzenkandidatin ihrer Partei antrat. Die Fachärztin für Radiologie an der Uniklinik Leipzig antwortete Ursula Katthöfer (textwiese.com) auf die Frage, was die junge Ärztegeneration in den Kliniken verändern möchte. |

Frage: Frau Dr. Piechotta, was erwarten junge Ärztinnen und Ärzte von ihren Arbeitgebern bzw. Vorgesetzten, um ihre eigene Gesundheit zu schützen?

Antwort: Wir sehen immer mehr junge Frauen und Männer, die in Teilzeit arbeiten wollen, auch weil die Arbeitsverdichtung durch den medizinischen Fortschritt in den vergangenen zehn Jahren enorm war. In vielen Fachrichtungen gab es einen Zuwachs an neuen Therapien, wir müssen mehr Wissen parat haben. Bei uns in der Radiologie stieg nicht nur die Zahl der Untersuchungen pro Tag, sondern auch die Zahl der auszuwertenden Bilder pro Untersuchung. Außerdem reden wir im Gesundheitswesen inzwischen endlich offen über Burn-out. Leitende Oberärzte haben mit 50 Jahren einen Schlaganfall, Familien und Ehen gehen kaputt. Sehr viele junge Menschen möchten deshalb nicht so arbeiten wie die Generation vor ihnen.

Frage: Wie ließen Arbeitszeiten sich besser einhalten und kontrollieren?

Antwort: Das ist vorrangig Aufgabe der Tarifparteien. In einigen Tarifverträgen haben wir gesehen, dass man die Zeiterfassung detaillierter regeln kann. Gerade im stationären Bereich läuft das in manchen Abteilungen bereits gut. Das ist meist vor allem eine Frage der Fachrichtung, weniger der Klinik. In der Anästhesie wird bekanntermaßen in vielen Fällen ganz anders auf das Einhalten der Arbeitszeiten geachtet als in der Chirurgie. Auch deswegen wird die Anästhesie immer attraktiver, die chirurgischen Fächer werden unattraktiver.

Frage: Aber wie realistisch ist es, die Arbeitsbelastung angesichts des ökonomischen Drucks zu verringern?

Antwort: Der Fachkräftemangel ist unser relevantester Hebel. Dadurch haben wir eine bessere Verhandlungsposition, um bessere Arbeitsbedingungen und -zeiten zu erreichen. Auch die Politik kann Rahmenbedingungen setzen. So wurden nun die Personaluntergrenzen für die Pflege verbessert. Das hat allerdings zur Folge, dass die Kliniken nun bei Ärzt*innen und anderen Berufsgruppen ausdünnen. Dieser Effekt war politisch wahrscheinlich nicht gewollt. Deshalb müssen wir die Gesundheitsberufe zusammen denken. Die Pflege ist die größte Berufsgruppe, aber nicht die einzige. Instrumente wie die Personaluntergrenzen müssen für alle Berufsgruppen funktionieren, um Berufsgruppen nicht gegeneinander auszuspielen.

Frage: Aber wo sollen die Fachkräfte herkommen?

Antwort: Wir haben noch enorme Effizienzreserven, nur durch die Digitalisierung. Auf den Stationen machen wir sehr viel unnötige Arbeit. Wir telefonieren, kopieren und untersuchen doppelt, weil Diagnosen nicht richtig vorliegen oder eine schlechte Qualität haben. Da können wir Kosten und Arbeitskraft sparen. Vor allem bei der ambulanten Versorgung im ländlichen Raum sollten wir Menschen aus anderen Gesundheitsberufen mehr Kompetenzen geben.

Frage: Könnte die Förderung von Frauen die Situation verbessern?

Antwort: Ich wehre mich dagegen, das Problem darin zu sehen, dass Frauen keine 60 Stunden arbeiten möchten. Denn auch Männer möchten zunehmend in Teilzeit arbeiten und auf ihre Gesundheit achten. Deshalb müssen wir die Förderung von Frauen und die Teilzeitmöglichkeiten voneinander trennen. Doch Frauenförderung ist wichtig, weil unsere Chefarztetagen immer noch männerdominiert sind. Frauen treffen auf viele Barrieren, Kliniken sind sehr hierarchisch strukturiert. Aus historischen Gründen arbeiten auf den Ebenen der leitenden Oberärzt*innen und Oberärzt*innen in den alten Bundesländern z. T. weniger Frauen als in den neuen Bundesländern. Aus DDR-Zeiten gibt es dort noch mehr Oberärztinnen, die nun jedoch langsam das Rentenalter erreichen.

Frage: Ihre Partei hat den Klimaschutz zum zentralen Wahlkampfthema gemacht. Was müssten die Kliniken zuerst tun, um die Erderwärmung zu stoppen?

Antwort: Viele Kliniken sind bereits aktiv. Nicht auf Initiative der Chefärzt*innen, sondern weil die Mitarbeitenden sich auf den Weg gemacht haben. Wir haben große Herausforderungen vor uns. In der Anästhesie geht es beispielsweise um die Rückgewinnung von Narkosegasen. Kliniken müssen energieeffizient und hitzeresistent werden (Anm. d. Red.: vgl. CB 09/2021, Seite 18). Unser Vorschlag als Grüne ist, dass angesichts der großen Lücken in der Investitionsfinanzierung der Bund bei den Investitionskosten einsteigt.

Frage: Zuletzt eine persönliche Frage: Was hat Sie bewogen, aus der Klinik in den Bundestag zu wechseln?

Antwort: Ich wurde familiär sehr früh geprägt, weil ich schon als Schülerin Angehörige pflegen musste. Das war der Grund, Medizin zu studieren. Doch ich habe sehr schnell gemerkt, dass man das System im Beruf kaum verändert. Deshalb habe ich parallel immer parteipolitisch gearbeitet. Im Gesundheitswesen arbeiten je nach Rechnung knapp vier bis sechs Millionen Beschäftigte. In der Autoindustrie sind es deutlich weniger, dennoch wird über sie in der Politik viel mehr gesprochen. Da müssen wir ein besseres Gleichgewicht hinbekommen.

Frau Dr. Piechotta, vielen Dank für das Gespräch! L

AUSGABE: CB 11/2021, S. 19 · ID: 47715531

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