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CBChefärzteBrief

Arzthaftung„Nicht zu früh und nicht zu spät!“ – zwei Urteile zum richtigen Zeitpunkt der Patientenaufklärung

Abo-Inhalt25.02.2021200 Min. LesedauerVon RA, FA MedR Dr. Rainer Hellweg, Hannover

| Wann ist der richtige Zeitpunkt für das Aufklärungsgespräch vor einem Eingriff? Diese Frage ist immer wieder Gegenstand von Arzthaftungsprozessen. Eine – gesetzlich nicht feststehende – Faustformel lautet: Aufklärung bei stationären, gefahrgeneigten Eingriffen einen Tag vor der OP, bei risikoärmeren ambulanten Eingriffen reicht der OP-Tag selbst aus. Zwei Urteile zu diesem Thema fasst der folgende Beitrag zusammen. |

OLG Köln: Einwilligung unter Korrekturvorbehalt

Manche Patienten willigen in schwierigen Situationen (z. B. emotionale Verwirrtheit, mangelnde Fachkenntnis, Aufklärung in der Nacht) in einen Eingriff ein. Klinikärzte können dann verpflichtet sein, sich zu vergewissern, ob die Einwilligung nach wie vor dem freien Willen des Patienten entspricht (Oberlandesgericht [OLG] Köln, Urteil vom 16.01.2019, Az. 5 U 29/17).

Sachverhalt

Eine Patientin hatte sich den Oberschenkelhals gebrochen und war nachts in die Klinik eingeliefert worden. Beim nächtlichen Aufklärungsgespräch konnte sie nur mit Mühe überzeugt werden, sich operieren zu lassen. Die Einwilligungserklärung unterschrieb sie direkt nach dem Aufklärungsgespräch, die OP war allerdings erst für nächsten Mittag geplant. Noch in der Nacht bat die Patientin ihren Ehemann, am nächsten Vormittag die Meinung eines Orthopäden ihres Vertrauens einzuholen. Weil die Klinik die OP auf den Morgen vorverlegte, hatte dies keine Folgen mehr. Die Patientin klagte gegen den Krankenhausträger und die operierenden Ärzte. Im Prozess machte sie u. a. einen Aufklärungsfehler geltend. Im Rückblick hätte sie eine konservative Therapie des Bruches bevorzugt. Infolge der insgesamt fehlerhaften Behandlung leide sie bis heute an Schmerzen in der linken Leiste. Sie verlangte ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro. Das OLG Köln sprach der Patientin 10.000 Euro zu.

Entscheidungsgründe

Wegen mangelhafter Aufklärung und damit unwirksamer Einwilligung sei der Eingriff rechtswidrig gewesen. Durch die Aufforderung, das Einwilligungsformular direkt im Anschluss an das Aufklärungsgespräch zu unterschreiben, hätten die Ärzte die Entscheidungsfreiheit der Patientin unzulässig verkürzt. Wenn der Eingriff nicht notfallmäßig sofort erfolgen müsse, sondern zumindest einige Stunden Zeit verblieben, müsse dem Patienten die Möglichkeit der Überlegung und ggf. der Informationsgewinnung bleiben. Bei dem streitgegenständlichen Eingriff, der erst in etwa zwölf Stunden hätte stattfinden sollen, hätte die Bedenkzeit der Patientin bis kurz vor den Eingriff reichen müssen.

Wenn in einem Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung angehalten würden, könne von einer wohlüberlegten Entscheidung grundsätzlich nicht ausgegangen werden. Vielmehr werde die Entscheidung unter dem Eindruck einer großen Fülle von unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben. Eine solche Erklärung stehe dann unter dem Vorbehalt, dass der Patient die ihm verbleibende Zeit nutze, um die erhaltenen Informationen abzuwägen und sich ggf. anders zu entscheiden.

Für den Fall eines Meinungsumschwungs zwischen Aufklärungsgespräch und dem Eingriff obliege es den operierenden Ärzten, sich davon zu überzeugen, dass die erteilte Einwilligungserklärung im Operationszeitpunkt nach wie vor dem freien Willen des Patienten entspreche. Dies wiederum müsse der Klinikträger durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen.

Merke | Auch wenn das OLG Köln die Rechtssätze im Urteil allgemeingültig formuliert, kann man das Urteil wegen der besonderen Umstände im Behandlungsfall als Einzelfallentscheidung ansehen. Doch diese birgt für Kliniken organisatorische Risiken: Dass der Patient direkt nach dem Aufklärungsgespräch das Einwilligungsformular unterzeichnet, ist vielfach üblich. In solchen Fällen müssten die Ärzte kurz vor der OP noch einmal aktiv nachfragen, ob denn der Patient immer noch mit dem Eingriff einverstanden ist. Somit müssen viele Krankenhäuser ihr Prozedere in der Patientenaufklärung vor Eingriffen grundlegend umstellen.

OLG Dresden: Aufklärung am Operationstag kann ausreichen

Bei ambulanten Eingriffen (z. B. Koloskopie) kann eine Aufklärung am Tag des Eingriffs ausreichen (OLG Dresden, Beschluss vom 16.03.2020, Az. 4 U 2626/19).

Sachverhalt

Im Rahmen einer ambulanten Koloskopie hatte das Aufklärungsgespräch stattgefunden, nachdem der Patient bereits den zur Vorbereitung der Koloskopie erforderlichen Darmreiniger eingenommen hatte. Der Patient klagte und rügte im Prozess, dies sei zu spät, da er durch diese lästige Prozedur unter Entscheidungsdruck gesetzt worden sei. Das Gericht wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe

Bei ambulanten Eingriffen könne die Durchführung der Aufklärung einschließlich des mündlichen Gespräches am Tag des Eingriffs selbst ausreichen. Wichtig sei, dass die Entscheidung für oder gegen den Eingriff dem Patienten überlassen bleibe. Bei einer ambulanten Koloskopie sei die Aufklärung auch dann noch als rechtzeitig anzusehen, wenn sie erst erfolge, nachdem der Patient die Darmreinigung bereits abgeschlossen habe. Dabei handele es sich um eine klassische Vorbereitungshandlung, deren Ausführung einer wirksamen Einwilligung nicht entgegenstehe.

Fazit | Auch in Kenntnis der eingangs erwähnten Faustformel kommt es bei der Wahl des Aufklärungszeitpunkts immer auf den konkreten Einzelfall an. Zu berücksichtigen sind insbesondere die aus dem Eingriff erwachsenden Risiken sowie eine mögliche medizinische Notfallsituation. Aber auch Vorkenntnisse des Patienten (z. B. bei einer Wiederholungs-OP) sind mitentscheidend.

Weiterführende Hinweise
  • „Die Videoaufklärung – Möglichkeiten und Grenzen im Klinikalltag“ (CB 10/2020, Seite 5)
  • „Bei (angeblich) fehlender Aufklärung über Alternativen liegt die Beweislast beim Patienten“ (CB 09/2020, Seite 5)
  • „Ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zur Aufklärung, die Chefärzte kennen sollten!“ (CB 08/2020, Seite 4)
  • „So umgehen Sie Haftungsfallen bei der Aufklärung“ (CB 08/2020, Seite 7)
  • „BGH urteilt: Chefarzt hätte bei unerwarteter OP-Erweiterung erneut aufklären müssen!“ (CB 10/2019, Seite 9)

AUSGABE: CB 3/2021, S. 8 · ID: 47118447

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